■ Daumenkino: Der kleine Unterschied
Es gibt dann doch noch eine rührende Szene in „Der kleine Unterschied“, eine Szene, in der Regisseur Richard Spence seine dozierende Haltung aufgibt, einmal seine Angst vergißt, irgend etwas falsch zu machen, eine Szene, in der die Figuren nicht nur Fallbeispiele sind, sondern zu Menschen werden. Als Paul schließlich doch noch zum erstenmal mit Kim schläft, die früher Karl hieß, blickt er erstaunt nach unten, dorthin, wo die Geschlechtsorgane ihre Arbeit tun, und meint gackernd: „Es paßt tatsächlich.“
Doch um dorthin zu gelangen, mußte allerhand ertragen werden. Altpunk Paul lebt in einer runtergekommenen Londoner Bude, deren Fabriketagenfenster blinkt wie eine Lichtorgel im Rhythmus des Punkrock, der immer erklingt, wenn Paul auf der Leinwand erscheint. Kim dagegen residiert in einem überaus staubfreien Häuschen, über dessen pastellene Farben Laura Ashley in Verzückung geraten würde. Er prügelt sich mit jedem verfügbaren Idioten, sie trippelt hektisch hinter ihm her. Doch weil sich Spence jeden Humor verkneift, bleiben die beiden Protagonisten Abziehbildchen ihrer selbst und finden nie den Weg ins Herz des Zuschauers.
Vorträge über Chromosomen, Hormonbehandlungen und Operationstechniken werden gehalten. Gegen homophobe Polizeibrutalität muß sich zur Wehr gesetzt werden. Selbst gar nicht mal unelegante Dialoge werden durch die allgegenwärtige Steifheit der Inszenierung verschenkt: „Hey Kim, ich bin hetero, weißt du.“ – „Genau wie ich.“ Allein in den Nebenrollen erlaubt sich Spence ein wenig Sarkasmus. Pauls Freundin, von der völlig schleierhaft bleibt, was sie an dem Blödmann findet, meint: „Ich setze mich beim Pinkeln hin, ich weiß, wer ich bin.“
Drehbuchautor Tony Marchant wollte weg von den Klischees über Transsexuelle, die er definiert sah durch Filme wie „Ein Käfig voller Narren“ oder „Manche mögen's heiß“. Das ist ihm ohne Zweifel gelungen, aber in jeder Sekunde dieses Films spürt man die Angst der Macher, ihrem Anliegen etwas Böses anzutun, sollten sie ihr Thema auch nur einen Augenblick lang nicht ernst genug nehmen. Mit dem ironischen Abstand fehlt auch die Lockerheit. „Der kleine Unterschied“ hätte ja nicht gleich eine Komödie werden müssen, aber ein wenig Raum für die Figuren wäre nicht übel gewesen. Statt dessen müssen sie die perfekten role models abgeben für die tapfere Transsexuelle, die sich zu ihrer Vergangenheit bekennt, und den Chaoten, der endlich sein Leben geregelt bekommen will. Und wie soll man solchen Prototypen schon eine Liebesgeschichte abnehmen? Thomas Winkler
„Der kleine Unterschied – Different for Girls“. Mit Steven Mackintosh, Rupert Graves, Miriam Margolyes. GB, 1995
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