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Der heiratswillige Vernunftmensch

■ Zu Beginn der US Open kündigt Michael Stich seine Hochzeit an. Steffi Graf widmet sich dagegen ganz ihrer verletzten Schulter: „Manchmal kann ich mir nicht mehr die Haare kämmen“

Berlin (dpa/taz) — Was ist es eigentlich, was Michael Stich so farblos wirken läßt gegen Boris Becker? Seine Spielweise nicht, auch Stich kann faszinierendes und atemberaubendes Tennis bieten. Seine Worte? Wohl kaum. Was Stich sagt, ist rethorisch geschliffen und selten sinnleer. Sein Aussehen? Ein Paradiesvogel ist er nicht gerade, aber auch nicht unattraktiv.

Aber vielleicht ist das schon das Problem. Stich bietet einfach keinen Angriffspunkt. Alles, was er tut, ist vernünftig, geplant und mithin wenig aufregend. Wenn Stich was sagt, kann man davon ausgehen, daß er es auch tut. Der Mann ist ganz Disziplin, ganz Vorbild.

Im Gegensatz zu Boris Becker: Auch er ist ein Mann mit Prinzipien — mit einem großen Unterschied, der ihn so menschlich macht: Er kann seine Prinzipien ändern. So ist man bei dem unruhigen Cosmopoliten vor abenteuerlichen Entscheidungen — keine Sponsoren, schmalzige Porträt-Filme, politische Statements, weinerliche Niederlagen — nie gefeit, potentiell ist ihm alles zuzutrauen.

Stich hingegen ist in seiner Diszipliniertheit berechenbar. So wollte keine rechte Aufregung aufkommen, als er am Montag zu Beginn der US Open in Flushing Meadows ankündigte, seine Freundin Jessica Stockmann zu Jahresende zu ehelichen. Man stelle sich den Trubel vor, wenn Boris Becker Heiratsabsichten bekannt gäbe: Warnende Stimmen von allen Seiten, Boris, überleg doch, schlaue Analysen, ob ihm das den Trainer ersetzen kann, psychologische Diagnosen, warum der junge Becker gerade jetzt Halt braucht, Rücktritts-Spekulationen, tumultartige Szenen vor seinem Hotel, Selbstmorddrohungen verliebter Fans etc. Bei Stich gratuliert man einfach höflich. Ist schließlich das normalste der Welt.

Sein Auftaktspiel gegen Olivier Delaitre hat der Wimbledon-Sieger 1991 unspektakulär mit 6:4, 6:3, 6:4 gewonnen und belehrte sich anschließend selbst: „Alles muß noch besser werden: Beweglichkeit und Schnelligkeit“, meinte er und gab zu bedenken: „Doch es war erst das dritte Match auf dem Hartplatz.“ Im vergangenen Jahr war die jetzige Nummer zwölf vor dem Turnier in New York noch Weltranglisten- Dritter. „Darüber denkt man schon nach, aber man muß akzeptieren, wie es ist“, sagte der 23jährige. In New York will er „von Match zu Match“ weitersehen.

Dieselbe Taktik verfolgt notgedrungen Steffi Graf. Zwar gewann sie ihr Auftaktspiel gegen die Amerikanerin Halle Cioffi klar mit 6:0, 6:2, doch die Schulter macht weiter Ärger: „Die Schulterverletzung ist chronisch. Der Schmerz kann jederzeit zurückkommen“, sagte Graf. Das letzte Grand-Slam-Turnier der Saison wird für die Weltranglisten- Zweite zu einem Kampf gegen den eigenen Körper.

„Manchmal werden die Schmerzen extrem. Du kannst nicht mal Deine Haare kämmen. Bei allen möglichen Bewegungen tut es weh“, beschrieb die 23jährige ihr Handicap. Deshalb hatte Steffi Graf vor zwei Wochen das Turnier in Montreal abgesagt, deshalb hatte sie nach der Niederlage im olympischen Finale gegen die Amerikanerin Jennifer Capriati „nicht den angenehmsten Urlaub“ verlebt. Und deshalb hatte sie beim Federationcup in Frankfurt kurz vor den Spielen in Barcelona „viele Pillen“ geschluckt. Der Alltag einer Tennis-Millionärin.

„Es begann vor eineinhalb Jahren“, sagt Steffi Graf. Damals laborierte sie an einer Sehnenreizung in der Hand, schlug den Ball deshalb nicht wie üblich und war außerdem auf einen neuen Schläger umgestiegen. Im Juli 1991, beim Federationcup in Nottingham, wurden die Probleme erstmals offensichtlich. Die Deutsche siegte gegen die Kanadierin Patricia Hy mit schmerzverzerrtem Gesicht. Eine Kapsel- und Sehnenentzündung in der rechten Schulter wurde diagnostiziert.

Auch vor zwölf Monaten war der US-Open-Start der Brühlerin wegen der Schulter lange gefährdet, doch sie kam bis ins Halbfinale. „Es gibt“, so Steffi Graf, „wohl nichts, was man dagegen machen kann.“

Vier weitere deutsche Tennis- Profis überstanden den Auftakt- Montag bei dem Grand-Slam-Turnier. Patrik Kühnen setzte sich in 3:31 Stunden mit 6:4, 6:7, 6:2, 3:6, 7:5 gegen Cristiano Carrati (Italien) durch. Alexander Mronz bezwang den Amerikaner Jimmy Brown (6:4, 6:4, 6:4), Claudia Porwik besiegte Laura Gildemeister (Peru) mit 6:3, 6:4, und Silke Meier (Saarlouis) gewann mit 4:6, 6:0, 6:3 gegen Flora Perfetti (Italien). miß

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