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Der große Unbekannte

■ Angeklagter im "Mykonos"-Prozeß widerrief Aussage Wann stellte der Angeklagte falschen Paß zur Verfügung

Am gestrigen fünften Verhandlungstag des „Mykonos“-Prozesses rückte der Angeklagte Mohamad Atris von seinen eigenen früheren Schilderungen seiner Tatbeteiligung ab. Atris wird der Beihilfe zum Mord beschuldigt, weil er, laut Anklageschrift, einem der Täter, die am 17. September vier kurdische Politiker im Lokal „Mykonos“ erschossen haben sollen, einen Paß besorgt haben soll.

Diesen Vorwurf hatte er in einer ersten Vernehmung durch das Bundeskriminalamt im Oktober 1992 in wesentlichen Teilen auch bestätigt. Zwar wollte er von der Tat selber nichts gewußt haben, doch habe ihn der Mitangeklagte Youssef Amin zu Hause angerufen und ihn gefragt, ob er einen Paß besorgen könne. Atris ging seinerzeit davon aus, daß dieser Angst vor einer Abschiebung habe. Er nahm den Paß seines Bruders an sich, weil darin ein sehr altes Bild war, das Amin ähnlich sah, und brachte es zu Amin, der nach der Tat zu seiner Familie nach Rheine gefahren war. Dort war er auch mit einem weiteren Angeklagten festgenommen worden.

In der gestrigen Verhandlung bestätigte Amin zwar die Paßübergabe in Rheine, erklärte aber, daß nicht er das Ausweispapier seines Bruders an sich genommen habe, sondern daß ihm dieses Ende September 1992 von einem Unbekannten eines Abends nach Hause gebracht wurde. Er dachte, sein Bruder habe den Paß verloren und der Finder stehe vor ihm. Dieser scheinbar marginale Unterschied im Geschehnisablauf hat womöglich weitreichende Folgen. Denn die erste Version bedeutet, daß er vor der Tat den Paß des Bruders an sich nahm, denn dieser vermißte ihn bereits vor dem 17. September. Das würde darauf hindeuten, daß er wußte, daß der Paß für das Attentat gebraucht wird – ein Beleg für die ihm zur Last gelegte Beihilfe zum Mord. Deshalb pochte Atris darauf, daß ihm der Paß erst nach der Tat von einem Umbekannten übergeben wurde. Der Prozeß wird heute mit der Vernehmung Amins fortgesetzt. dr

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