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Der ewige Blues

Jedes Jahr die gleiche Leier: Morgen startet zum 9. Mal der immer wieder gern gescholtene WestPort  ■ Von Volker Marquardt

Jedes Jahr das gleiche Ritual: Im Vorfeld des WestPorts-Festival dreschen die meisten Blätter der Stadt ordentlich auf das Programm ein. Den schrägen Vögeln kann es gar nicht schräg genug sein, den biederen nicht bieder genug. Dennoch kommen alljährlich die erwarteten 20.000 Zuschauer. Auch in diesem Jahr titelte die taz hamburg „Jazz mit Eklat“ – und spielte damit allerdings eher auf Künstlerinnen wie Nina Simone an, die letztes Jahr trunken aus dem Backstage-Raum schwankte, um Celina Pereira das Mikrofon aus der Hand zu reißen. „Porentief rein“ machte die Szene Hamburg auf und kritisierte vehement die Harmlosigkeit des diesjährigen Programms.

Dabei wurden vor allem die regelmäßigen Auftritte von George Benson oder Manhattan Transfer zum Stein des Anstoßes. Doch immerhin hat der gern als Weichspüler verspottete Gitarrist mit Standing Together eine neue Platte vorgelegt und die House-Produzenten von Masters At Work an seine Stücke gelassen. Doch Benson bleibt natürlich Benson.

Sicher, auch in diesem Jahr geht man mit den Dauerbrennern Cassandra Wilson und Al Jarreau wieder auf Nummer sicher. Und statt Oscar D'Leon, dem freundlichen Mambo-Mixer aus New York, hätte man sich eher die „Afro-Cuban Allstars“, die sogar für das noch wenig etablierte „Stimmen 98“- Festival im süddeutschen Lörrach gebucht wurden, vorstellen können. Oder aber Herbie Hancock und Branford Marsalis, die in ihrem grenzgängerischen Gesamtwerk den Anspruch des WestPorts, ein offenes Verständnis von Jazz zu präsentieren, in die Tat umsetzen. Allerdings waren die beiden Vorzeige-Jazzer schon zuvor beim WestPort geladen. Dieses Jahr spielten sie – wie übrigens eine Menge potentieller Festivalgäste – in anderen Etablissements.

Daß das Programm – so wie es nun einmal vorliegt – kaum Strukturen erkennen läßt, liegt auch an der großen Zahl von Absagen. Dem P-Funker George Clinton ist eingefallen, daß er Geburtstag hat, die R'n'B-Diva Eryka Badu will sich auf die Geburt ihres Babys vorbereiten, und die HipHop-Virtuosen von A Tribe Called Quest ließen verbreiten, daß sie sich auflösen – Ende August aber werden sie trotzdem ein Album veröffentlichen. Mit der kurzfristigen Einwechselung des Juju-Meisters King Sunny Ade schwappt der diesjährige WestPort endgültig in Richtung, nunja, Weltmusik. Für verschiedene Abende gibt es verschiedene Mottos: die „Salsa Night“ mit Oscar D'Leon, prominent zur Eröffnung plaziert, das „Latin Crossing“ mit Tito Puente, Arturo Sandoval und Steve Winwood, die „Gypsies' Night“ mit Ketama, Aroma Flamenco und Swing Gypsy Rose aber auch die brasilianische Sängerin Badi Assad, die zusammen mit Cassandra Wilson auftreten wird.

Nach experimentellen musikalischen Äußerungen sucht man also dieses Jahr vergeblich. Doch wahrscheinlich muß ein streng kommerziell ausgerichtetes Festival so oder so ähnlich aussehen, damit am Ende die Kasse stimmt. Denn nach der Anschubfinanzierung von 1990 bis 1993 durch die Kulturbehörde sind die Veranstalter, abgesehen vom namensgebenden Zigarettenkonzern, auf sich allein gestellt. Im Vergleich dazu wurde das in diesem Jahr mit Sunny Rollins, Pharoah Sanders und Bill Laswell vorzüglich besetzte „Jazz-Festival“ der Fabrik mit 80.000 Mark aus der Kulturbehörde unterstützt. Immerhin rund ein Fünftel der laufenden Kosten – was natürlich auch mehr Spielraum bedeutet.

Ferner verfügt der WestPort ja über keinen festen Ort. Statt dessen stampfen die Macher von der Konzertagentur Jazz and More bei den Deichtorhallen mit großem Aufwand eine temporäre Stadt aus dem Boden, sorgen für Toiletten, Wasseranschlüße und andere infrastrukturelle Elemente. Nicht daß man ohne kommunale Unterstützung fürderhin nur noch George Benson zu hören bekommen wird – allzu viele Wagnisse können sich kleine Agenturen allerdings nicht leisten.

Zeimlich halbherzig wurde das Programm dann auch dieses Jahr nur mit zwei Late Nights ergänzt. Nach den Hip-Hop-Veteranen Run DMC wird vor allem vom Downtempo der 12köpfigen Herbaliser einiges erwartet. Doch welcher B-Boy kann sich über 40 Mark für einen Abend leisten? So ist zumindest bei der zweiten Late Night im 2000 Personen fassenden Zelt – wie schon im letzten Jahr bei Roni Size – ein Flop geradezu programmiert. Vieleicht sollten sich die Veranstalter überlegen, ob sie für solche Anläße nicht zusätzlich ein kleineres Zelt bereitstellen, damit unbekanntere Formationen unter dem Zeltdach nicht ganz absaufen.

Das aktualisierte Programm des WestPort: Oscar D'Leon: morgen, 20 Uhr. The Manhattan Transfer: Fr, 17. Juli, 20 Uhr. Run DMC: Fr, 17. Juli, 24 Uhr. Steve Winwood, Tito Puente, Arturo Sandoval: Sa, 18. Juli, 20 Uhr. Al Jarreau: So, 19. Juli, 20 Uhr. King Sunny Ade: Mo, 20. Juli, 20 Uhr. Ketama, Aroma Flamenco, Swing Gypsy Rose: Di, 21. Juli, 19.30 Uhr. Cassandra Wilson, Badi Assad: Mi, 22. Juli, 20 Uhr. Jocelyn Brown, Roy Ayers, Ray Gaskins: Do, 23. Juli, 20 Uhr. Marcus Miller: Fr, 24. Juli, 20 Uhr. Herbaliser (live), The Wiseguys (DJs), Dirty Beatniks (DJs): Fr, 24. Juli, 24 Uhr. George Benson, Jonas Schoen: Sa, 25. Juli, 20 Uhr. Alle Konzerte finden im Festivalzelt vor den Deichtorhallen statt. Tickets unter: Tel. 44 64 23

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