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Archiv-Artikel

Der deutsche Koch von Sezuan

Frank Flemmig hat schon für Erich Honecker Blechkuchen gebacken. Der 52-Jährige, einst sozialistischer Vorzeigekoch, fertigt in Hoppegarten exotische Gerichte. Selbst Erdäpfeln verhilft er zu neuen Ehren: als lila Kartoffelschnee. Ein kulinarisches Porträt

Ein Kochlehrherr ist wie ein Prediger: Auf wichtige Gebote pocht er unerbittlich

von GISELA SONNENBURG

Aus China hat er eine Urkunde: „Hotelkochmeister 1. Klasse“ ist er demnach, Chinesischkundige können das verifizieren. Das Dokument verdankt Frank Flemmig einem knochenharten Kochtraining in Sezuan: Ein 83-jähriger „Professor für Kochen“ bimste ihm wochenlang täglich bis zu vier Spezialitäten ein, von „leichter Seegurke“ bis zu „bestialisch scharf gemachtem“ Tofu. Ihrem Dolmetscher dürfte dabei das Wasser im Mund zusammengelaufen sein.

1989 war das, die DDR existierte noch. Flemmig, der Mann mit den meergrün blitzenden Augen unter der Kochmütze, war ein sozialistischer Vorzeigeküchenstar. Der Arbeiter-und-Bauern-Staat schickte ihn nach China, damit er die asiatische Kost authentischer, womöglich maoistischer als westliche Köche erlerne: „Damals war ein luxuriöses Chinarestaurant in der Leipziger Straße geplant, da sollte ich dann kochen.“ Nur kam es nach dem Mauerfall nicht mehr zur Eröffnung, denn Westberlin bot schon damals Chinarestaurants bis zum Abwinken.

Das, was Flemmig heute im Oleander, dem Restaurant der Galopprennbahn Hoppegarten, kredenzt, hat mit panasiatischer Einheitssoße indes nichts zu tun. Seine „Barbarie-Entenbrust an thailändischem Gemüse in Zitronengrassud“ kommt mit „Jasminreistimbale“ einher – und mundet wie ein duftender Sommertraum aus herzhaft-erfrischenden Verwöhnaromen. Affenohrenpilze und Blütenpfeffer zählen zu den Zutaten: „Der rosarote Pfeffer hinterlässt auf der Zunge einen kühlenden Geschmack, ähnlich wie Minze“, erklärt der Kochmeister.

Seine Garnelengekrönten „Lotte-Pralinen“ – mit Spinatbutter gefüllte Seeteufelfilets – stehen leider nicht immer auf der Karte. Dafür das „Ingwersüppchen mit sautierter Jakobsmuschel“ und der, hoppla, „in Caipirinha gebeizte Fjordlachs“. Brasilien trifft Norwegen: Nur à la Sezuan zu essen wäre nicht nur dem Koch, sondern auch seinen Gästen zu wenig. Und spätestens eine brandenburgische Flemmig-Delikatesse macht einen zum Wiederholungsesser: buttermilder „lila Kartoffelschnee“, gewonnen aus violett schimmernden Gatower Erdäpfeln.

Ausgerechnet in einer aller Exotik unverdächtigen, piefigen Sportgaststätte machte der vor 52 Jahren im Erzgebirge Geborene seine ersten kulinarischen Schritte. Schnell fand er heraus: Er will mehr als die Provinz. Also: Ab nach Berlin. Hier marschierte er schnurstracks zum Hintereingang des Hotels Metropol, der damals ersten Adresse des Ostens: „Wo bewirbt man sich denn hier?“ Zehn Minuten später hatte er einen Job, ein Jahr später war er zum Souschef avanciert.

Als dann die Exklusivabsteige Grand Hotel erstmals mit Personal bestückt wurde, bat man den ehrgeizigen Flemmig auf den Chefkochposten: 8 Schlachter und 12 Konditoren hatte er unter sich. Prominente aus dem Westen – wie Marianne Rosenberg, Udo Lindenberg und Bonnie Tyler – bewirtete er ebenso wie die in der DDR heimische Elite. Flemmig fand heraus, dass gerade „hoch gestellte Persönlichkeiten“ mitunter grässlich bescheiden sind: „Erich Honecker wollte Blechkuchen.“

Schade um Flemmigs Kochkunst, die auch nach dem Mauerfall in Gefahr war: Ganz leicht war es nicht, sich als Renommierküchengeist der DDR in der neuen Zeit zu behaupten. Übergangsstationen waren ein Fernsehcatering in Sachsen und das Golfhotel in Bad Saarow – bis Flemmig, der mit einer Sportlehrerin verheiratet ist, in seine Wahlheimat Berlin zurückkehrte. Hier feilt er für die Cateringfirma VSG Facility Profis an seinem Küchenprofil: mit gesunden Gerichten für Schulkinder, Leckereien für Vorstandsfeiern, Besonderheiten für Bankette.

Edelschnittchen fürs Verkehrsministerium komponiert er ebenso wie neue Desserts: Sorbet von weißen Holunderbeerblüten, Champagnersülze mit Cassis-Sorbet, gelierte Waldbeeren mit Vanillerahmsauce – da perlen nicht nur die Buchstaben. Flemmigs Philosophie klingt dennoch bodenständig. „Ein guter Koch muss zwei Tugenden haben, das ist überall auf der Welt so: Fingerfertigkeit und Kreativität.“ Seinen Lehrlingen schaut er bei der Einstellung tief in die Augen – um sie eindringlich zu befragen, warum sie Koch werden wollen.

Auch wenn er „enorm brüllen kann“ wie einer, der es wissen muss, versichert er: Flemmig, der deutsche Koch von Sezuan, tut’s im Namen der Kunst. Die Auszubildenden leitet er nicht dazu an, seine Kreationen zu kopieren. Er macht ihnen Mut, sich auszuprobieren. Ein Kochlehrherr ist demnach wie ein Prediger: Kleinere Sünden verzeiht er sofort, aber auf die Einhaltung wichtiger Gebote pocht er unerbittlich.

„Die Zutaten müssen immer und unbedingt frisch sein“, so Flemmig. „Jeder Gast merkt das.“ Der „Koch aus Leidenschaft“ hat sein Ziel fest im Blick: dass man nicht nur die Hochzeit oder ein Jubiläum im Oleander feiert, oder die Speisen gar unachtsam in sich hineinmampft, während man Hab und Gut verspielt – sondern dass man wiederkommt, und zwar vorrangig, um zu essen. Seine Spitzenküche ist deshalb nicht nur zum Wetten viel zu gut, sie ist auch preiswert kalkuliert: Die edle Entenbrust kostet 15,60 Euro, 4-gängige Menüs gibt es ab 35 Euro.

So sitzen nicht nur Pferdefans auf der romantischen Terrasse, um die Bäume am Horizont zu zählen. Das Lokal heißt übrigens nach einem tapferem Klepper Oleander – den ebenfalls so benannten Salat mit raffiniert gefüllten Oliven hätte auch der Gaul vermutlich nicht verschmäht.

Das Rennbahn-Restaurant Oleander ist in der Goetheallee 1, 15366 Dahlwitz-Hoppegarten, zu finden. Tel. (0 30) 51 50 37 31. Mittwoch bis Freitag ab 18 Uhr, Samstag und Sonntag ab 12 Uhr