: Der demütige Präsident
■ Während Schach-Wltmeister Garri Kasparow in London vor spärlicher Kulisse seinen Titel verteidigt, zieht die Pseudo-WM Karpow - Timman nach Jakarta um
Berlin (taz) – Eigentlich hätte Garri Kasparow gute Gründe, den ganzen Tag vor lauter Glück zu strahlen. Sein Weltmeistertitel ist bei einer 9:4-Führung gegen den britischen Herausforderer Nigel Short kaum in Gefahr, und im Machtkampf mit Florencio Campomanes, dem Präsidenten des Weltschachverbandes FIDE, hat er eindeutig die besseren Karten. Alles kam wie von Kasparow prophezeit. Niemand nimmt die Pseudo-Weltmeisterschaft der FIDE zwischen den von Short geschlagenen Anatoli Karpow und Jan Timman ernst, und nach der Absage des als Ausrichter für die zweite Hälfte vorgesehenen Sultanats Oman droht dem Weltverband zudem ein finanzielles Desaster.
Als demütiger Bittsteller mußte der einst so mächtige Campomanes herumreisen, um irgendeine Stadt zu finden, die sich wenigstens breitschlagen ließ, die Organisationskosten für die WM-Fortsetzung zu tragen, da an neue Sponsoren nicht zu denken war. In Indonesien wurde die FIDE schließlich fündig, vom 16.Oktober an wird im Hilton von Jakarta die Fortsetzung des Duells stattfinden, in dem Karpow beim Abbruch in Amsterdam mit 7:5 führte. Die 800.000 Schweizer Franken Preisgeld muß der Weltverband aus der eigenen Kasse finanzieren, die nicht allzu reichlich gefüllt ist und deren Haupteinnahmequelle stets die WM war. Einige FIDE-Funktionäre sprechen bereits vom Bankrott.
Trotz der gestärkten Stellung der rebellischen PCA (Professional Chess Association), die bislang nur aus Kasparow und Short besteht, kann jedoch auch der wahre Weltmeister nicht restlos glücklich sein. Kasparows Versuch, in London das Schach der Zukunft zu zelebrieren, ist gescheitert. Zu langweilig ist der bisherige Verlauf, von der publicityträchtigen Dramatik der letzten Titelkämpfe gegen Karpow ist nichts zu spüren. Immer weniger Zuschauer sind trotz drastisch gesenkter Eintrittspreise bereit, sich im Savoy-Theater einzufinden, wo sie zwar über Kopfhörer den Live-Kommentaren diverser Großmeister lauschen können, aber in den langen Denkpausen weder essen, trinken noch Zeitunglesen dürfen.
In Zukunft wird es auch für Kasparow schwierig werden, noch einmal einen solchen Sponsor wie The Times zu finden, die vier Millionen Mark in das vermeintliche Spektakel investierte, das sich zu einer recht müden Show entwickelte. Er habe das Spiel Kasparows genau studiert und Wege gefunden, den Favoriten zu erschüttern, hatte der 28jährige Brite vollmundig getönt, aber mehr als Remis war bisher nicht drin.
Dennoch wird Kasparow nicht müde, Short als den Mann der Zukunft zu preisen. Auch er habe gegen seinen Vorgänger Karpow 32 Partien gebraucht, um zum erstenmal zu gewinnen, und der Engländer werde von Spiel zu Spiel besser. „Short wird eine vollkommen andere Person sein, wenn unser Duell vorbei ist“, verspricht der 30jährige. „Ohne Zweifel wird er bei der Weltmeisterschaft 1995 einer der Favoriten für die Herausforderung sein.“ Wer dann der Titelträger sein wird, daran läßt Garri Kasparow allen Campomanes, Karpows und Timmans zum Trotz keinen Zweifel. Matti
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