: Der Zwang zum mobilen Leben
■ Von den über 100 Wagenburgen in Deutschland sind die meisten von Räumung bedroht oder ziehen ständig um
Bundesweit gibt es etwa 100 Plätze, auf denen Menschen aller Altersgruppen in ausgebauten Bau- oder Zirkuswagen, in Lkw oder Hütten wohnen. Mal stehen sie zu zweit, mal in Gruppen mit bis zu über 100 Menschen. Ob in Hamburg oder München, in Köln oder Berlin, selbst in kleineren Städten wie Kassel oder Freiburg gibt es je drei Plätze, auf denen meist 10 bis 40 Leute leben.
Nur die wenigsten Wagenplätze sind wie die Wiesbadener Burg vertraglich abgesichert. Meist haben die Wagenburgler mit ihren mobilen Wohnstätten freiliegende Nischen inerhalb der Städte besetzt. So wurde etwa der ehemalige Mauerstreifen in Berlin Heimstatt für mehrere Burgen. Nur wenige der Wagenfreunde konnten sich mit der Zustimmung eines positiv gestimmten Grundeigentümers auf Privatgelände ansiedeln.
In Hannover propagiert die Stadtverwaltung die „Verdrängung auf friedlichem Wege“. Eine Wagenburg soll einem 15 Meter breiten Fahrradweg weichen, der für die Weltausstellung Expo angelegt werden soll. Seit zwei Jahren wird über alternative Stellplätze verhandelt. Bisher ohne Ergebnis. Fest steht nur, daß die Verwaltung die Bewohnerzahl der Burgen vorgeben und die Plätze einzäunen will. In Köln leben die Rollheimer mit aufgezwungener Mobilität. Zwölfmal wurden sie in den letzten zwei Jahren von immer neuen Plätzen vertrieben. Derzeit leben sie befristet auf einem zugewiesenen Platz zwischen einer sechsspurigen Straße und einer Eisenbahn. Bei der ersten Räumung waren sämtliche Wagen von Baggern und Planierraupen zerstört worden. Der ursprüngliche Wagenburgplatz ist bis heute Brachgelände.
Vorläufige Erfolge konnten hessische Rollheimer verbuchen. Die Wagenplätze in Darmstadt und Rodenbach bei Hanau waren durch das Landesgesetz „Bauen im Außenbereich“ bedroht. Ursprünglich war es als Schutz gegen die Landschaftszersiedelung gedacht. „Jetzt geht es nach hinten los“, kritisieren die Rollheimer. „Es wird gegen Kleingartensiedlungen und Wagenburgen eingesetzt.“
Ende Februar schmückten daher die im Rhein-Main-Hessen- Plenum zusammengeschlossenen Wagenburgler ihre Wagen und setzten sich bei einem landesweiten Aktionstag mit Straßentheater in Szene. „Wir haben damit so viel Aufsehen erregt, daß die geplanten Räumungen jetzt zumindest neu überdacht werden“, meint einer der Beteiligten. Bis zu der auf den Berliner Wagentagen geforderten sozialen, kulturellen und politischen Anerkennung der Plätze als alternative Wohn- und Lebensform ist es jedoch noch ein weiter Weg. Gereon Asmuth
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