: Der Weltenbrand als Feuerzeug
■ Nach dem Berliner den Appetit verdarben (Kulturhauptstadt '88), werden Pariser die Phantasie töten (Kulturhauptstadt '89) / Oder: Was plant Frankreich zur 200. Begehung der Revolution?
Mit jedem Wunsch auf eine Zigarette setzt das Feuerzeug eine Miniatur-Bastille in Flammen. Griff in die Trickkiste der Revolution. Hier etwas für neun-bis 15jährige: „Bastilles ein Spiel zur Sensibilisierung für die Menschenrechte“. Die Spielregel ist simpel: Je eine Menschenrechtsverletzung soll einem Land zugeordnet werden. Zur Demonstration fällt der Riesenwürfel auf „Berufsverbot 1976“. Welches Land? Fortschrittliche BRD-Lehrer wären begeistert.
Die meisten der beim „Forum der Projekte für die 200 -Jahrfeier“ der Französischen Revolution vorgestellten Entwürfe suchen Sponsoren. Viele Ideen werden daher wohl kaum verwirklicht werden, und um viele ist es auch nicht schade. Viel Fähnchenschwenken und Händchenhalten zum Jahrestag wie bei der „Zeremonie der Farben“: In 200 Städten dürfen je 200 Bewohner 200 Flaggen aufstellen, so „könnten 40.000 Bürger aktiv an dem beeindruckenden Projekt teilnehmen“ (Pressetext). Von einer „Bücherei des 200. Jahrestages der Französischen Revolution“ bis zu roten Luftballons auf der Seine („revolutionäre Strömung“), die Fülle der Projekte ist erdrückend.
Und unübersichtlich obendrein, denn was am Ende das Tageslicht des 14. Juli 1989 erblicken wird, liegt im Dunkeln. Sponsoren haben sich bisher vornehm zurückgehalten, und die von Präsident Mitterrand 1986 eigens begründete „Mission“ für die Gedenkfeier war von der Regierung Chirac mit ganzen 15 Millionen FF (4,5 Millionen DM) abgespeist worden. Zugleich Bürgermeister von Paris, hat Chirac allerdings dafür gesorgt, daß der Stadt ein Budget von 100 Millionen FF (30 Millionen DM) zur Verfügung steht. Die Sozialisten mußten nachziehen und haben jetzt den Etat der „Mission“ erstmal auf 110 Millionen FF (33 Millionen DM) aufgestockt. Der für die „Mission“ neu eingesetzte Präsident Jean-Noel Jeanneney, Ex-Direktor von Radio France, ist immerhin Historiker, im Gegensatz zu seinen zwei verstorbenen Vorgängern Baroin und Faure.
Mag sein, daß die neu in Gang gekommene Konkurrenz zwischen Sozialisten (Mission) und Rechten (Stadt Paris) das Geschäft beleben wird. Auch die Kommunisten stehen unbeirrt hinter ihrer Revolution, das diesjährige 'Humanite'-Fest findet bereits unter dem offiziellen Signum des 200. Jahrestages statt, das drei rosa-weiß-hellblau getönte Friedenstauben gen Himmel fliegen läßt.
Fest stehen einige Großprojekte, in denen politisch hoch gepokert wird. Der nächste Gipfel der großen Sieben (Industrienationen) wurde zum 14. Juli 1989 nach Paris eingeladen. Dann werden die Regierungschefs Seite an Seite mit Staatspräsident Fran?ois Mitterrand dem Einweihungskonzert der großen „Volksoper“ an der Bastille lauschen können und vielleicht bei der Eröffnungszeremonie für die „Arche de la Defense“ zugegen sein. Die „Arche“ gleicht eher einem „arc“, einem den alten um einiges überragenden neuen Triumphbogen der Menschheit, in dem eine „Internationale Stiftung der Menschenrechte“ angesiedelt werden soll. Sie steht, in einer Achse mit dem Arc de Triomphe verbunden, stadtauswärts im modernen Hochhaus- und Büroviertel La Defense.
Weiter im Programm vorgesehen: Ab Herbst 1988 Ausstellungen, Kinofilme, Theaterstücke, Konferenzen zum Thema „Die Revolution und...“. Die Sorbonne wird vom 6. bis 12. Juli 1989 Tagungsstätte eines Weltkongresses der Historiker zum „Bild der französischen Revolution“. Der Triumphbogen an der Place de l'Etoile wird eine Lichtuhr erhalten, die aus insgesamt zwölf auf fünf Meter hohen Megalithen angebrachten Scheinwerfern besteht, die „Zwölf Stunden für eine Revolution“ den nächtlichen Himmel über Paris anleuchten werden. Eine Weltuhr, die die Lokalzeit verschiedenster Länder sowie die Monatsangabe samt Übertragung in den Revolutionskalender zeigen soll. Die Stadt Paris plant ein Großkonzert von Jean-Michel Jare („Oxygene“) am 14. Juli. Der rekonstruierte Versammlungssaal der Generalstände soll als mobiler „Zug der Revolution“ durch Frankreich laufen. An der heutigen Place de la Bastille wird mit „Es war einmal Paris... am 14. Juli 1989“ das historische Geschehen auf einer Leinwand „evoziert“.
Schönstes Projekt: In den Tuilerien entsteht für ein halbes Jahr ein Revolutionspark („revo-parc“). Halb Ladengalerie, halb historisches Animationstheater, hier kann man auf 700 Metern Länge die historischen Etappen der Französischen Revolution in Schaubildern und ganz bestimmt multimedial durchlaufen, sollte man dabei Appetit bekommen, in einen kräftigen Happen beißen, aufgespießt an den Köpfen von Louis XIV oder Antoinette, und danach kommt unweigerlich die Lust auf eine Zigarette... Feuerzeug gefällig?
Die Pariser Verkehrsbetriebe haben einen Wettbewerb zur Restauration der Metro-Station Bastille ausgeschrieben. Das Motto des Wettbewerbes: „In 200 Jahren haben sich die Waffen der Revolution doch verändert.“
Sabine Seifert
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