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Der Weg zur zentralen Marktwirtschaft

Mit strategischen Allianzen verschaffen sich konkurrierende Konzerne gemeinsam mehr Marktmacht/ Lockt das Generalkartell?/ US-Ökonom Jordan Lewis legt umfangreiche Analyse vor  ■ Von Hermannus Pfeiffer

Der Sozialismus begnügte sich noch mit dem Wandel durch Auflösung, der Kapitalismus dagegen versucht, mit Anpassung an die neuen Bedingungen seine Haut zu retten. „Strategische Allianz“ lautet das aktuelle Zauberwort in den Chefetagen der Konzerne. Auf vielen der neuen globalen Märkte wächst die Konkurrenz; technologische Neuerungen setzen immer größere Investitionen voraus und überfordern gelegentlich auch Multis. Die Fertigungstiefen werden profitabel verringert; die Industriegiganten basteln ihre Produkte aus mehrheitlich von Zulieferern hergestellten Einzelteilen zusammen. Arbeits- und dadurch kostenintensive, häufig durch Umweltschutzauflagen verteuerte Produktion wird mitsamt dem Schmutz in die Schwellenländer ausgelagert. Das Ergebnis: „Die Welt von heute ist keine Welt von Einzelunternehmen, die ihre Schlachten schlagen“, so Charles Sporck, Präsident des US- Chip-Herstellers National Semiconductor aus dem im Schatten dämmernden Silicon Valley.

Den heute dominierenden Teil dieser Welt bildet eine Vielzahl von strategischen Allianzen. Strategische Allianzen heißt denn auch das jüngste Buch des US-amerikanischen Ökonomen und Beraters führender Konzerne, Jordan C. Lewis. Mit seinem Buch legte Lewis die erste umfassende Analyse dieses Phänomens vor. In fünfjähriger Forschungsarbeit, bei der er mehr als 100 Manager von rund 40 nordamerikanischen, europäischen und japanischen Firmen interviewte, lernte der Autor aus erster Hand einige der erfolgreichsten Allianzen kennen.

„In einer strategischen Allianz arbeiten Firmen aus wechselseitigem Bedürfnis zusammen und teilen die Risiken, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen“, bringt es Lewis auf den Punkt. Dabei reichen die Möglichkeiten von der informellen Kooperation zwischen Produzenten und Zulieferern über die gemeinsame Gründung eines neuen Unternehmens (Joint-venture) mit Konkurrenten bis zum Aufbau eines strategischen Netzes einer gesamten Branche.

Eine bereits bewährte Allianz bilden die Konzerne Ford und Mazda. Beide Firmen sind Wettbewerber, doch Mazdas „Hauptgegner“ (Lewis) sind Honda, Nissan und Toyota, die von Ford sind Chrysler, General Motors und ebenfalls Toyota. Im Ergebnis der strategischen Allianz hat Mazda für Ford die Modelle Festiva, Tracer und Probe konstruiert und Technologie-Wissen bereitgestellt. Die Amerikaner profitieren vom in Japan aufgebauten Händlernetz, welches von Mazda hergestellte Produkte mit dem Etikett Ford verkauft und zudem einige von Ford in den USA produzierte Autos absetzt.

Die Vorteile für die Aktivisten sind sowohl die gegenseitige Nutzung ausgewählter Ressourcen als auch und vor allem des vorhandenen Know-hows. Dabei entfällt der bei Übernahmen und Fusionen typischerweise anfallende Ballast unrentabler Firmenteile. Im Ergebnis sinken die Kosten der Beteiligten, oder die Finanzkraft steigt; „bessere“ oder neue Produkte werden auf den Markt geworfen, die Organisation wird gestärkt, das Vertriebsnetz entscheidend ausgedehnt, und die Firmen nähern sich ihren strategischen Zielen. Übrigens enthebt dies die modernen Top-Manager nicht der Pflicht, nach Staatsgeldern und Protektionismus zu rufen. Für eine europäische Entwicklung der Mikroelektronik fordert beispielsweise der Chef des hoch allianz-intensiven Siemens-Konzerns Heinrich von Pierer, „das Prinzip des Liberalismus und der freien Wirtschaft“ zu überdenken. Kein Dogmatiker, der Mann.

Eine Fülle von Beispielen macht Lewis' Buch lesbar und interessant, auch wenn die Argumentation gelegentlich ein wenig banal wirkt. Lewis übertreibt, wenn er nahezu alle wettbewerbsrechtlich tolerierten oder als solche dargestellten Formen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen als „Strategische Allianz“ tituliert. Ein Beispiel hierfür sind die althergebrachten patriarchalischen Kooperationen zwischen Konzernen und ihren teilweise in die Tausende gehenden Zulieferern. So baut Robert Bosch, weltweit größter Autoteile-Hersteller, mit wichtigen Zulieferern auf langfristige Beziehungen und gibt ihnen die nötige Unterstützung. Diese Hilfen reichen von Beratungsangeboten für den Einsatz neuer Technologien, über Teil-Finanzierungen bis zur Kooperation in der Herstellung. Dabei begrenzt Bosch seine Aufträge auf 20 Prozent des Umsatzes jeder Lieferfirma. So kann Bosch später Aufträge reduzieren, ohne die Existenz der Zulieferer zu gefährden, die in der Zukunft vielleicht erneut gebraucht werden.

Bei der idealtypischen strategischen Allianz dagegen — wie im jüngsten spektakulären Fall — kooperieren die Konkurrenten länderübergreifend. Anfang April billigten der Aufsichtsrat der Dresdner Bank sowie der Verwaltungsrat des führenden französischen Instituts Banque Nationale de Paris den Kooperationsvertrag zwischen den beiden Großbanken. Vornehmlich wurden darin Absprachen über ein gemeinsames Vorgehen auf den Auslandsmärkten getroffen. Laut Wolfgang Röller, Vorstandssprecher der Dresdner Bank, steht zudem eine gegenseitige Beteiligung von jeweils zehn Prozent zur Diskussion, für die die französische Regierung in der letzten Woche grünes Licht gab. Das Exempel zeigt einen von Lewis vernachlässigten Aspekt, nämlich die Bedeutung alter Verbindungen und Verflechtungen für das Zustandekommen von strategischen Allianzen. Beide Kreditinstitute arbeiten seit 1972 mit wechselnder Intensität in der internationalen Koordinationsgruppe ABECOR zusammen.

„Kartell, Kartell“, könnten nun die Außenstehenden rufen. Weit gefehlt, wie uns Herbert A. Henzler, Deutschland-Chef des Beratungsunternehmens McKinsey erklärte. „Während in Kartellverträgen die beteiligten Parteien Preise, Konditionen, Territorien, Sanktionen und vieles mehr genauestens festlegen, sind Vagheit und Allgemeinheit konstituierendes Merkmal einer Allianzvereinbarung.“ Dabei entstammen die vagen Konditionen, so es sie gibt, nicht unbedingt dem guten Willen der Akteure, als vielmehr dem Wandel der modernen Zeiten. Galt das klassische Kartell einer Zementierung des Bestehenden, will die statische Allianz den Zukunftsmarkt gestalten, vor allem über den Transfer von Wissen, so Henzler. Insofern sind strategische Allianzen ein Produktivitätsfaktor und „in vieler Hinsicht wohlfahrtsökonomisch die bessere Wahl“ — von der weltweit aber nur wenige profitieren. Tatsächlich konzentriert jede strategische Allianz Marktmacht, so die Hamburger Ökonomin Cornelia Nahrstaedt, und stützt so die Tendenz zur „zentralen Marktwirtschaft“ bei wachsendem Konkurrenzdruck für die Überlebenden. Und am Horizont lockt jenes 1909 vom späteren Reichsfinanzminster Rudolf Hilferding beschriebene „Generalkartell“. Wer aber trägt für dieses Glück die Verantwortung? Wir! Dankenswerterweise wies hierauf, in jugendlichem Überschwange, der Präsident der Ford- Automobilgruppe, Philip E. Bernton junior, hin: „Kooperation befriedigt den unersättlichen Appetit der Verbraucher auf mehr Abwechslung, als jedes Unternehmen allein bewältigen kann.“ Mahlzeit.

Jordan C. Lewis: Strategische Allianzen. Campus Verlag, Frankfurt 1991, 384Seiten, 78DM.

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