piwik no script img

Der Untergang des russischen Imperiums

■ Sowjetgeschichte seit 1981: „Anna: 6-18“ von Nikita Michalkov im Panorama

Nikita Michalkov hat Filme wie „Schwarze Augen“ und „Urga“ gedreht. Jetzt liefert er einen Essay über die sowjetische Geschichte und die gegenwärtigen Perspektiven der russischen Entwicklung. Michalkov hat seiner Tochter Anna seit 1981 jedes Jahr fünf Fragen gestellt: Was liebst und was haßt du am meisten, wovor fürchtest du dich, was ist dein größter Wunsch etc. Dazwischen hat er Bilder aus zeitgenössischem Dokumentarmaterial geschnitten und eigene Kommentare aus dieser Zeit. Michalkov spricht über Politisches und Privates, wie den Tod seiner Mutter, der Schriftstellerin Natalja Kontschalovskaja 1988. Der ganze Film ist zusätzlich überlagert von seinen Reflexionen über die Geschichte und über die Perspektiven der russischen Entwicklung. Er hat sich ziemlich weit vorgewagt.

Der Film beginnt 1981. Anna ist 6 Jahre alt, Breschnev so unbestritten Herrscher des russischen Imperiums wie einst Peter der Große. Es herrscht großer Pomp bei Staatsbesuchen, Parteitagen und Paraden, unendlich tief die Kluft zwischen den Parteiverlautbarungen und dem Alltag. Trotzdem warteten alle darauf, daß die hehren Parteiworte wahr werden. Während Michalkov davon erzählt, sieht man, wie ein Parteibonze minutenlang versucht, einem leutselig lächelnden Breschnev einen Orden an die Jacke zu fummeln. Breschnev küßt eine ganze Delegation ab, einer der Herren hält ihm sein Gesicht dem Kuß zu früh entgegen. Aber Breschnev plaudert noch und der arme Delegierte muß peinlichst berührt seinen Kopf wieder zurückziehen. Szenen wie diese kontrastieren auf das schönste mit Ausschnitten aus dem schauerlich pathetischen Vortrag eines Leningedichts und Szenen aus einem Park, in dem die Untertanen sich mit einem ziemlich anzüglichen Liebeslied amüsieren.

Nach dem Tod Breschnevs verliert der Film diese Leichtigkeit. Andropov und Tschernenko geben keine Antwort auf die Frage wie es weitergeht. Eine Frage, die mit einer für Außenstehende befremdlichen Bangigkeit gestellt wird. Als sei mit Breschnev Gott gestorben.

Gorbatschovs Demokratisierungsversuchen begegnet Michalkov mit Distanz. Trotz vorsichtiger Sympathie scheint ihm Demokratie etwas Dekadentes zu sein. Der Sänger Sergej Penkin feiert seinen Geburtstag im Fummel. Inmitten der ausgelassenen Gesellschaft stehen Penkins Eltern, etwas bieder und verwirrt. Als Penkin seine Eltern begrüßt, wirft jemand ihnen einen Blumenstrauß zu, der den Vater am Kopf trifft. Der Strauß öffnet sich bei dem Aufprall und die Blumen rieseln über den armen Mann herab.

Der Verlust der Würde macht Michalkov schwer zu schaffen. Er schneidet einem amerikanischen Fernsehprediger gegen russische Frauen, die auf den Knien zu einem Platz robben, auf dem früher ein Tempel stand, der abgerissen worden ist. Zurück zur Scholle oder mitten hinein ins Fegefeuer der Eitelkeiten? Michalkovs Blick auf die neue Zeit mag etwas Griesgrämiges anhaften, doch seine Prioritäten sind klar. Beim Putschversuch 1991 ist er mit anderen Künstlern im Weißen Haus, um Jelzin zu unterstützen. Genauso deutlich spürt man jedoch auch seinen Ekel über die Niederträchtigkeiten dieser Zeit. Nach seiner Rücktrittserklärung sieht Gorbatschov erstaunt auf seine Teetasse, die ihm niemand füllt. Michalkovs Bilder der Demütigungen sind sehr genau.

Dazwischen immer wieder die Fragen an Anna. Für mich der problematischste Teil des Films. Einerseits sind die Antworten nicht besonders erhellend, sie ist ein Kind, und andererseits erhält man einen Blick ins Private, den ich lieber nicht gehabt hätte. Da deuten sich Schwierigkeiten an, die mich nichts angehen. Die Fragen an Anna haben etwas wissenschaftlich-forschendes, das ich im Verhältnis zwischen Vater und Tochter etwas unpassend finde.

Es gab wahrscheinlich schon brillantere Analysen des Zusammenbruchs der Sowjet-Union. Doch so komprimiert ist es ziemlich überwältigend zu sehen, was seit 1981 alles passiert ist. Der Chinese vor den Panzern, die islamischen Soldaten mit den russischen Namen in Afghanistan, der Putschversuch 1991 — Brillanz kommt mir da eher verdächtig vor. Und was Michalkovs Zweifel an der demokratischen Moral betrifft: die Europäer sind in der Position, in der sie sich um Moral keine Gedanken machen müssen. Wir machen mit den Chinesen schon wieder Geschäfte und können hoffen, daß unser Versagen in Jugoslawien nicht auf uns zurückfallen wird. Michalkovs Zweifel, ob die Russen sich eine so nonchalante Haltung ebenfalls leisten können, erscheint mir von mehr Realitätssinn geprägt, als man bei einem Moralisten gemeinhin vermutet. Anja Seeliger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen