DIE BESONDERE NACHT : Der Unfall
Samstagnacht auf dem Weg nach Hause. Es ist kurz vor zwölf, eine Uhrzeit, wo coole Leute losgehen, aber wir werden alle nicht jünger, vor allem mein Freund, der hat nämlich gleich Geburtstag und den will er nicht feiern, also waren wir im Kino und laufen nun friedlich durch Pankow nach Hause. Das heißt, er läuft, ich fahre mit dem Rad nebenher. Die neue Kneipe auf der Florastraße ist leer wie immer, die Ampel an der Kreuzung Mühlenstraße ist ausgeschaltet, ein einziges Auto nähert sich.
Plötzlich Reifenquietschen. Ich gucke nach rechts. Es knallt, ein weißer Van wirbelt herum und hält dreißig Meter weiter auf dem Gehweg, der dunkelblaue Pkw hat keine Motorhaube mehr.
„Scheiße!“ Passanten, die vorher gar nicht da waren, laufen zu den Autos. Zwei Männer steigen aus dem blauen, ich will zu dem weißen, da sagt Paul: „Ich geh gucken, du rufst an!“ und ich denke: „Nicht an seinem Geburtstag!“, dann denke ich „Telefon!“ und krame das Handy aus der Tasche. „Anrufen“, denke ich, „wen soll ich denn anrufen?“
Ein paar Meter weiter steht eine junge Frau. „Du, komm mal her!“, sage ich zu der Frau, „Wo soll ich denn anrufen?“ „Polizei, 110“, antwortet sie. „Verbindung nicht möglich“, sagt mein Telefon, „Geht nicht!“, sage ich, „Ohne Vorwahl“, sagt sie, „Polizeinotruf“, sagt die Polizei. Ich reiße mich zusammen und berichte, was passiert ist. „Ist jemand verletzt?“, will der Beamte wissen. „Weiß ich nicht“, sage ich. Der Polizist ist sehr nett: „Passen Sie auf“, sagt er sanft, „tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie mal gucken, ob jemand verletzt ist!“
Bilder von zerfetzten Leibern blitzen vor mir auf. „Ich will nicht!“, denke ich. Mein Freund kommt zurück. „Paul, ist jemand verletzt?“, rufe ich. Paul schüttelt den Kopf. „Schleudertrauma und Schock“, sagt er. „Also doch Krankenwagen“, sagt der Polizist. „Ja ja“, sage ich, „Aber es ist keiner gestorben!“ An Pauls Geburtstag, denke ich. LEA STREISAND