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Der Triumph des Hetzers

■ Über geistige Kriegsführung und bittere Pflichten: Hinweis auf die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Mittelweg 36“

Ein gespenstisches Foto. Vorne rechts ist eine Dame im Nerz zu sehen, zu Tränen gerührt. Überall lachende Menschen. In der Menge ein grinsender Polizist. Grund: Ein Mann wird im Triumph aus dem Hamburger Landgericht getragen. Es ist Veit Harlan, der Regisseur des antisemitischen Hetz-Films Jud Süß. Er ist gerade, es ist der 23. April 1949, von der Anklage freigesprochen worden, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Damit ist für ihn juristisch der Weg frei, seine Karriere als Filmemacher nahezu bruchlos über den Kollaps des Nazisystems hinaus fortzusetzen.

Abgedruckt ist das Foto in der aktuellen Ausgabe von Mittelweg 36. In der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung hat Wolfgang Kraushaar die Nachkriegsereignisse rund um Veit Harlan detailliert nachgezeichnet. Es ist, sowohl was Schuldverdrängung als auch was den Übergang vom Naziregime zur Bundesrepublik betrifft, eine lehrreiche Geschichte. Mit 22 Millionen Besuchern war Jud Süß einer der größten Filmerfolge des „Dritten Reiches“, Goebbels bezeichnete ihn als „mustergültiges Beispiel für die geistige Kriegsführung“.

Sein Regisseur Veit Harlan aber sucht Ende 1947, als sei nichts geschehen, in einem Brief an Lion Feuchtwanger den Eindruck zu erwecken, sein Film stelle den Kampf zwischen Antisemitismus und Judentum bloß dar und sei teilweise gar judenfreundlich. Wobei zu erwähnen ist, daß es keineswegs einen Einzelfall darstellte, wenn Demonstranten gegen Harlans neue Filme bis in die 50er Jahre hinein selbst von Polizisten mit Rufen bedacht wurden wie: „Verfluchte Juden“ oder „Euch Juden sollte man den Kopf abschneiden“.

Wie ist es möglich, daß Täter ihre Taten so perfekt verdrängen können? Auf den Weg zur Beantwortung dieser Frage begibt sich, in einem weitergefaßten Kontext, ein weiterer Aufsatz des Heftes. Hannes Heer versucht in „Bittere Pflicht“ hinter den Rücken derjenigen zu gelangen, die aktiv am Zweiten Weltkrieg teilgenommen haben, sich heute aber partout nicht an die dort begangenen Kriegsverbrechen erinnern wollen. Er sucht die unbewußten kollektiven Motivbündel herauszuarbeiten, die es, zynisch formuliert, vor allem im Feldzug gegen die Sowjetunion einer Vielzahl deutscher Männer ermöglichten, diese Verbrechen zu begehen und sich hinterher von ihnen in aller Vehemenz distanzieren zu können. Dabei verarbeitet Heer bereits Erfahrungen aus dem vergangenen Gedenkjahr und mit der vom ihm konzipierten Verbrechen der Wehrmacht-Ausstellung, die im vergangenen Frühjahr auf Kampnagel eröffnet worden war. Erste Ansätze einer Mentalitätsgeschichte der deutschen Wehrmacht werden in dem Aufsatz erkennbar.

Neben vielem in der aktuellen Ausgabe auch interessant: der Überblick, den Gaby Zipfel über die gegenwärtige feministische Diskussion in den einschlägigen Zeitschriften rund um die Gender-Frage gibt. Dirk Knipphals

„Mittelweg 36“ ist erhältlich in ausgesuchten Buchhandlungen oder über: Extra Verlag, Langgasse 24, 65183 Wiesbaden

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