: Der Trip von E nach U
■ Eine Reise ins Reich der Polyrhythmik im Gespräch mit Eberhard Schoener
Seit 1976 besucht der Münchner Eberhard Schoener regelmäßig Bali wegen der Polyrhythmen. Der heute 52jährige fusionierte via Satellit anspruchsvolle Töne aus Japan und Deutschland. Doch sein Lieblingstrip findet ganz in seiner Nähe statt. Nämlich in seinem Kopf zwischen den globalen Polen E- und U-Musik. Der Output hieß »Rock meets Classic«. Zuerst krachten Deep Purple und die Münchner Kammeroper, deren künstlerischer Leiter er unbeschadet bis heute geblieben ist, aufeinander. Sein letztes Projekt dieser Art: Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg versucht sich mit Sting, Gianna Nannini und Jack Bruce an Brecht/ Weill. Derzeit tourt er wieder mit dem Gamelanorchester seines Freundes Fürst Agung, der einem traditionellen Herrschergeschlacht Balis entstammt. Dessen Vorfahre vertrieb im 17. Jahrhundert »ungläubige« Hindus aus dem islamischen Java auf die kleine Nachbarinsel Bali. Was dann tatsächlich eine Auswirkung auf die musikalische Vielfalt, wie man sie heute dort antrifft, haben sollte. So hat jeder Ort sein sogenanntes Gamelan-Orchester, welches opernhaft Tanz und religiöse Musik meditativ verschmelzt.
Das Stichwort Flucht brachten unseren Mann fürs Ungewöhnliche, Josef Pichelmaier, und Eberhard Schoener zu Beginn ihrer Unterhaltung — wenngleich über fünf Ecken — zu der Feststellung, daß ein Film über Berliner Wehrdienstverweigerer sicherlich einen interessanten Stoff abgeben würde.
Pichelmaier: Weil wir gerade darüber geredet haben. Machen Sie noch Filmmusiken?
Schoener: Ja klar, immer noch. Ich habe Musik für »Derrick« und »Der Alte« gemacht. Nicht, daß ich mich dessen schämen würde. Überhaupt nicht. Aber das ist natürlich nicht so der große Film. Das ist was fürs Brot.
Haben sie was größeres in Aussicht?
Ich mache jetzt gerade einen sehr schönen Film. Da geht es um eine Schlagersängerin, die einen Hit hat, und dann Schritt für Schritt absinkt. Zum Schluß endet sie dann in solchen Kaffeefahrten. Und wie die da durch die Betten der Produzenten muß. Einfach so eine Szenesituation, wie sie heute tatsächlich sehr, sehr oft vorkommt. Ich mußte da einen Schlager schreiben, der ein Hit sein könnte und ganz trivial ist. Ich hab' den schon gemacht und glaube, der ist ganz gut geworden.
Wie wird heißt er?
Der heißt »Es leuchten die Sterne«. So ist auch der Text, der ist nicht von mir, der ist vom Autor. »Es leuchten die Sterne, sag' mir wo du bist...« Trivialer geht's nicht mehr.
Wer weiß. Gibt's für die Figur ein Vorbild?
Es gibt dafür viele Beispiele. Aber wenn, dann würde ich die jetzt nicht nennen, weil das ist ja nicht fair.
Das hat mit dem, was Sie ansonsten machen, nicht sehr viel zu tun.
Ich könnte mit dem einen nicht ohne das andere leben. Die Sache ist die, daß ich mich nach einer gewissen Zeit immer langweile. Aus dem Grunde mache ich das eigentlich.
Die balinesische Musik betreiben sie seit 1976. Ist sie ihnen langweilig geworden?
Langweile ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich will, daß keine Routine auftritt, weil nichts ist schlimmer in der Musik, in der Kunst, als daß man in eine gewisse Routine gerät und sich anfängt zu wiederholen.
Hören sie neben ihrer eigenen Musik auch noch andere?
Ich bin ein Mensch, der monatelang keine Musik hört. Das ist einfach mein persönlicher Wunsch. Und ich kann es nicht aushalten, wenn Musik nebenher dudelt.
Entgeht einem da nicht was? Es gibt viel schöne Musik...
... aber auch viel schlechte Musik. Ich bin sehr anspruchsvoll in dem, was ich hören will. Und wenn man so auf Anhieb sagen sollte, was ist denn jetzt in den letzten zwei, drei Jahren wirklich Wichtiges, Bedeutendes entstanden, das ist ja nicht sehr viel.
Grund für Sie, sich zurückzuorientieren, zum Beispiel nach Bali?
Die balinesische Musik ist eine wahnsinnig aufregende und komplexe Musik. Die kann man nicht mal im Vorrübergehen so schnell mitmachen oder sich mal ein paar Balinesen holen. Dafür ist sie zu kompliziert.
Die indonesische Inselwelt hat 13.667 Inseln. Daß sie gerade auf Bali landen...
Das ist schon naheliegend. Weil das natürlich eine Trauminsel ist für uns Europäer. Daß die Musik in Bali sich so entfalten konnte, das ist eigentlich ein Wunder. Wieso gerade dort und in diesem Maße, das hängt natürlich mit der Religion zusammen.
Es gab mal einen Religionskonflikt zwischen dem Islam und dem Hinduismus. Die Hindus flohen nach Bali.
Ja, stimmt. Heute haben sie eine Mischreligion. Was wir als eine Auseinandersetzung mit der Kunst betrachten, ist im Grunde genommen nichts anderes, als den Götern zu gefallen. Deswegen tanzt man, deswegen malt man, deswegen macht man Musik. Diese ganzen Kunstbegriffe sind da gar nicht anwendbar, weil es eigentlich ein Lebengefühl ist. Wobei ich sagen muß, daß die Musiken, die ich gemacht habe, profane Musiken sind.
Berührungsängste von balinesischer Seite?
Nein, überhaupt nicht. Da gibt es riesen Ausscheidungskämpfe, wer mitfahren darf. Von ungefähr 200 Leuten werden 26 ausgewählt.
Wie vertragen sie sich musikalisch? Keine Gegensätze und unterschiedliche Ansätze?
Nein, der Ansatz ist eben nicht anders. Die machen Polyrhythmen, ohne es zu wissen. Die machen nahezu Viertelton-Musik, ohne es zu wissen. Und die Elektronik, mit der wir zu tun haben, nehmen sie mit einem Selbstverständnis hin, als wäre das ihre Musik. Die haben überhaupt keine Probleme damit. Lachen höchstens und amüsieren sich über manches.
Kann man sich vorstellen, daß Eberhard Schoener in die Bronx geht, um mit den Straßengangs etwas zu machen in Richtung Rapmusik?
Nein, glaube ich nicht. Das ist eine andere Ästhetik. Ich finde das toll. Ich würde dort gerne hingehen, aber mit denen was machen, dazu sehe ich im Moment keinen Ansatzpunkt. Es ist ja nicht so, daß ich durch die Welt ziehe und immer überlege, mit wem ich jetzt da was machen müßte.
Eberhard Schoeners »Trance-Mission-Bali-Symphony«, eine eigenwillige Mischung aus traditionellen balinesischen Unterhaltungselementen wie Pantomime, Licht- und Schattenspielen, Tanz und Musik und westlicher Minimal-Musik, ist ab 21 Uhr im Tempodrom zu bestaunen.
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