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■ KommentarDer Traditionssozialist ■ Was Blair und Schröder von Jospin lernen können

Vor genau einem Jahr verbanden Gerhard Schröder, Tony Blair und Lionel Jospin nicht nur die Etiketten „modern“ und „sozial“, sondern auch ihre Wahlerfolge. Doch die Wege der drei trennten sich schnell: Der jenseits von Rhein und Ärmelkanal als „Traditionssozialist“ gescholtene Jospin liegt seit Juni 1997 in Meinungsumfragen und Wahlen kontinuierlich vorn. Tony Blair hingegen siegte nur noch in Meinungsumfragen und sackte bei den englischen Kommunalwahlen ab. Und Gerhard Schröder? Er gewinnt nicht mal mehr bei Umfragen. Gemeinsam ist den drei Premiers heute nur noch die Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationale und ihr Glaube an die „Segnungen“ der Globalisierung. Ihre Bürger sollen daran teilhaben und gleichzeitig von den angeblich überholten Sozialsystemen entlastet werden.

Dass die Erfolge der drei so gänzlich unterschiedlich vom jeweiligen Volk bewertet werden, liegt weniger an ihrer realen Politik als an ihren politischen Allianzen und ihrer politischen Kommunikation. Eben darin ist der „Traditionssozialist“ in Paris ein Meister.

Jospin, der durch die Regierungsbeteiligung von Grünen und KommunistInnen einen großen Teil der französischen Linken eingebunden hat, privatisierte mehr Staatsunternehmen als irgendeiner seiner konservativen Vorgänger. Er ist dabei, den Arbeitsmarkt in nie dagewesener Weise zu flexibilisieren. Und er schaut fast ohne einzugreifen zu, wie in Frankreich qua Fusion wirtschaftliche Kolosse entstehen.

All das steht zwar im Widerspruch zu seiner angekündigten Politik, geht jedoch durch. Das liegt zu einem guten Teil daran, dass Jospin die Bedeutung von symbolischer Politik und politischer Ideologie kennt. Er redet nicht bloß vom „Sparen“, sondern zugleich auch von Sozialpolitik. Und er spricht nicht bloß von „Globalisierung“, sondern immer auch von staatlicher Regulierung. Das gilt auch jetzt wieder, da er Maßnahmen ankündigte, die missbräuchliche Entlassungen verhindern sollen. Damit allein schafft er zwar keine Sicherheiten gegen Massenentlassungen. Aber er besteht auf seiner politischen Präsenz. Diese hohe Kunst von Politik als ordnende Gestaltung des Gemeinwesens hat der „Traditionssozialist“ besser verstanden als seine Kollegen jenseits von Rhein und Ärmelkanal. Dorothea Hahn

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