: Der Totengräber der 1.Infantry Division
Da steht ein weißer Kindersarg auf einer blaßgrünen Wiese am Waldrand bei Musdorf (Baden-Württemberg), darüber flattern die Stars and Stripes im Wind. Wenige Schritte weiter ist mit weißen Bändern ein Gräberfeld akkurat abgesteckt. Über drei Gräbern sind ein christliches Kreuz, ein jüdischer Davidstern und ein islamisches Grabsymbol in die Wiese gerammt. Im Grab daneben steckt in einem Bodybag (Körpersack) eine lebensechte Puppe - eine „Leiche“ aus Plastik. Über allem trällert Radiomusik.
Sie kommt aus einem Gerät, das auf einem kleinen Tisch steht. Vor diesem Tisch auf der Wiese sitzt ein Soldat - der Totengräber der Ersten US-Infantry Division. Seit dem 12.September übt der wohl einsamste Mensch in diesem Manöver seinen Teil bei Reforger '88.
Es ist ein freundlicher, offener Mensch, der sicher sein Handwerk gut beherrscht, denn er macht auch drüben in den Staaten nichts anderes als Leichen bestatten. Hier im Manöver hat er die Aufgabe, wie im Kriegsfall einen Soldatenfriedhof anzulegen und zu betreuen. Im Kriegsfall wird ihm die Arbeit ganz sicher nicht ausgehen - jetzt im Manöver hat er bisher noch keinen echten Dienst leisten müssen - denn die Menschen, die bisher bei Reforger '88 „ums Leben gekommen sind“, waren nicht aus seiner Einheit und damit nicht „seine“ Toten. Den GI-Kollegen ist der Totengräber nicht ganz geheuer. Sein Spitzname sei „Dr. Death“, erklärt einen GI-Lady und fügt fröstelnd hinzu: „Don't shake his hands, they are cold.“ Und das Maisfeld hinter der improvisierten Ruhestätte wiegt sich sanft im Spätsommerwind.
Knut Siewert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen