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Der Tanz der lebenden Quoten

Zynismus, Sexismus, Korruption: Helmut Dietls Komödie „Late Show“ will Kritik des Mediums Fernsehen sein. In Wirklichkeit erhebt er Thomas Gottschalk und Harald Schmidt zu hypermedialen Superstars. Hinter den Kulissen ist immer zugleich vor den Kulissen  ■ Von Georg Seeßlen

Als das Kino sich anschickte, eine moderne Kunst zu werden, prägte Jean-Luc Godard einen ebenso folgenreichen wie mißverständlichen Satz: Es genüge nicht, politische Filme zu machen, man müsse Filme auch politisch machen. Inzwischen hat das Kino die Postmoderne entdeckt, vereinigte Pop und Kunst, Kritik und Affirmation mit den Wonnen der Selbstreferenz. Und irgendwann mußte es zur zeitgemäßen Variation des Godard-Satzes kommen: Es genügt nicht, postmoderne Filme zu machen, man muß auch postmodern Filme machen.

Die Erfüllung dieser Phantasie im bescheidenen Rahmen der deutschen „Medienlandschaft“ ist Helmut Dietl mit „Late Show“ gelungen. Es ist der Film, der zugleich der Kommentar zu seiner eigenen Vermarktung ist, zugleich Zentrum und Peripherie einer multimedialen Veranstaltung zum Thema „So kann es nicht weitergehen, aber so geht es weiter“. Die Kritik des Mediums bewegt sich in einer Endlosschleife durch das Medium selbst; eine Satire auf Korruption, Manipulation und Wahnsinn des Mediums wird selbst Teil der Korruption, der Manipulation und des Wahnsinns. Die Dekonstruktion der Images wird Material zur Stabilisierung des Images; in dem Kinofilm „Late Show“ lassen sich die Fernseh-Ikonen Thomas Gottschalk und Harald Schmidt als Stars auseinandernehmen, nur um als hypermediale Superstars neu geboren zu werden. Sie sind das „Ding“ an sich, und zugleich seine Spiegelbilder, Phantasmen der Populärkultur (der Sonnyboy und der Zyniker) und ihre Abbildungen als „Kunst“. Leicht eingängliche und höchst komplizierte Ausgaben jenes Lacanschen Subjekts, dem wir „Wissen unterstellen“. Das Wissen von sich selbst.

Noch benötigt auch dieses postmoderne Fernsehkino so etwas wie eine Geschichte. Dietl entfaltet sie in der durchaus eleganten Art eines multi character plots, dem der Film weder die „Lösung“ eines Melodramas noch die Erhabenheit einer Tragödie oder die Entlastung einer Komödie gönnt. Es ist der kalte, sadistische Blick auf Menschen in einem selbstgeschaffenen Treibhaus, eine Laboranordnung. Harald Schmidt ist der Programmdirektor eines TV-Privatsenders in der Quotenkrise, Thomas Gottschalk der Moderator einer intimen, echt authentischen Radioshow. Sie tragen ihr jeweiliges Image, sadistischer Klassenprimus versus marktfähiger Sonnyboy, gekonnt zu Markte und beschreiben dabei zugleich die Methode des Films: das Klischee wird nicht unterlaufen, sondern bis an die Ekelgrenze ausgereizt. Der Direktor will den Moderator zum neuen Fernsehstar aufbauen, der ziert sich zuerst, wird immer wieder gelinkt und macht am Ende genau das, was man von ihm erwartet, ein Geschwür im Magen und die Nase voller Kokain.

Veronica Ferres ist seine Freundin, eine Schauspielerin, die sich weigert, eine Sexszene zu spielen, beleidigt aufs Land zieht, um eine Pferdezucht zu führen, später aber wieder Schauspielerin und gut Freund mit ihrer Erzfeindin ist, der von Jasmin Tabatabai gespielten Assistentin, Konkurrentin, Geliebten des Programmdirektors. Weiter kommen vor: ein Finanzier, der seine Geschäfte von einer komfortablen Alpenhütte aus führt (Otto Schenk), eine korpulente Taxifahrerin, die heillos in den Radiomoderator verliebt ist und ihn dann mit manipulierten Fotos zu erpressen versucht (Sabine Orléans), ein windiger Journalist, der mit dem Aufstieg und Fall von Promis sein Geld macht (Karl Markovics), der Host der Mick Meyer Show, für die es nichts gibt, was zu geschmacklos wäre (Dieter Pfaff). Und daß Gaby Dohm in einer Gastrolle die Ärztin spielt, die Gottschalk ein Facelifting verpaßt, ist auch nur in Maßen komisch. Die Masken kleben an diesen Menschen und werden um so perfekter, je mehr sie innerlich darin verfaulen.

Nein, als „Satire“ im herkömmlichen, das heißt „modernen“ Sinn funktioniert „Late Show“ kaum besser als ein durchschnittlicher Didi-Hallervorden-Sketch. Wie sollte man auch ein System „zur Kenntlichkeit verzerren“, das gerade deswegen so wirksam ist, weil es nichts, aber auch gar nichts von sich selbst verbirgt? Hinter den Kulissen ist immer zugleich auch vor den Kulissen. Das Übelste, was man, zum Beispiel, den Fernsehleuten nachsagen kann, ist: Sie sind wirklich genau das, was sie zu sein scheinen. Natürlich „übertreibt“ Dietl noch ein wenig, die Geldmenschen sind noch hinterhältiger, die Kreisläufe von Sex, Geld und Macht noch etwas wahnsinniger, die Programme noch debiler und geschmackloser, die Zuschauerinnen und Zuschauer, also wir, offenkundig noch süchtiger nach Dreck als gewohnt. Das ist eben Kino, genauer gesagt Fernseh-Kino, wo eine Struktur nur als personalisiertes Drama sichtbar gemacht werden kann.

Noch das Banale wird im Kino zum großen Zeremoniell – und auf nichts versteht sich Dietl so gut wie auf das große Zeremoniell der Banalität. Viel eher aber funktioniert der Film innerhalb einer Privatmythologie. Sie erzählt von den monstres sacrés des Showbusiness, an der Dietl seit seiner Fernsehserie „Kir Royal“ arbeitet. „Late Show“ bildet darin den Abschluß und Höhepunkt einer Filmtrilogie, zusammen mit „Schtonk!“ (Betrug und Selbstbetrug in der populären Publizistik) und „Rossini“ (Treibhaus von Eitelkeit und Abhängigkeit für die Monstren der Kinobranche). Einander verwandte Figuren und Beziehungen tauchen immer wieder auf, die Geschichte von der „unschuldigen“ Person, die sich am Ende als perfektester Repräsentant des Lügensystems erweist, die Geschichte der manipulierten Manipulateure, die Geschichte der sexuellen Korruption und der vergeblichen Träume vom „Ausstieg“.

Dietls Trick dabei ist es, seinen Figuren so nahe zu kommen, daß man sie nicht vollständig verdammen kann. Während man im richtigen Leben von einem Menschen, den man eindeutig als Arschloch identifiziert hat, Abstand zu gewinnen trachtet, wird man bei Dietl nur noch näher an ihn herangeworfen. Er spielt mit Empfindungen wie Ekel und Mitleid, Distanz und Einverständnis. Und dieser Blick auf Gesichter, als müsse noch jede Make-up-Schicht, jede geplatzte Ader im Augapfel vorgeführt werden! Wenn Fernsehen den Blick der lieblosen Intimität bedeutet, dann hat Dietls Film sein Objekt mühelos übertroffen.

Daher nimmt das Medium ihn und sein Werk so gierig auf, wie seine Figuren sich auf Leiber und Objekte stürzen. Im prismatischen Bild von Dietls Filmen nähert sich auch der Blick kritischer Zeitgenossen wieder den Medien-Monstern, der sich zu verweigern trachtete. In dieser postmodernen Volte scheint das Medium, gerade noch zur „Nullhaftigkeit“ und audiovisuellen Tapete verkleinert, sich plötzlich wieder Bedeutung zu verschaffen. Seine Entblößung gerinnt zum Metathema.

Eine ansonsten schnarchlangweilige Folge von „Wetten daß“, in der neben dem Bundeskanzler das Hauptpersonal des Films versammelt ist, wird daher gleich zu mehr als einem besonders schamlosen Akt endloser gegenseitiger Promotion, der sich so „ehrlich“ zu seiner Schamlosigkeit bekennt; es wird eine programmatische Veranstaltung zur Verknüpfung von Kunst, Politik und Medium. Noch bevor man im Kino einen Blick auf das Fernsehen zu erhalten hofft, hat das Fernsehen schon auf das Kino zurückgeblickt und es in seinen Dienst genommen. Es klärt darüber auf, daß es keinen Blick „von außen“ geben kann, und verhöhnt zugleich diesen Akt der Selbstaufklärung. Und noch bevor die Politik Gegenstand der Abbildung im Medium werden kann, wird der Politiker (wenngleich in der Gestalt Schröders noch ein wenig ungelenk) selbst Teil des Mediums. (Daß er am Ende „eine alte Dame nach Hause fährt“, ist ein wunderbarer Antiklimax, ein Abgang von erhabener Trivialität.)

Diese Inszenierung wird zum Schlüssel jener semantischen Katastrophe, in der die Grenzen zwischen Objekt, Sinnbild und Abbild so aufgelöst werden wie die zwischen Aufklärung und Illusionierung. Der analytische und zugleich kalte und intime Blick Dietls führt zu nichts anderem als zur Beschleunigung der medialen Häutungsvorgänge, in denen die Innenansicht zur Außenhaut wird und umgekehrt. Und Gottschalk und Schmidt, Schröder in der Mitte, werden durch das Schauspiel einer partiellen Selbstdekonstruktion erst recht zu den „eigentlichen“ Repräsentanten der zwei Seiten der „neuen Mitte“ im Deutschland der Jahrtausendwende: Transformationen der (politischen) Moral in Unschuld und Zynismus, die beide von sich behaupten können, zugleich „gespielt“ und wahrhaftig zu sein.

P.S. In der Münchner Pressevorführung saß ein Wesen hinter mir, das bei allem, was entfernt nach einer Pointe aussah, in ein verzweifeltes Wiehern ausbrach, gefolgt von einem kurzen Schnauben, das zu einem nicht enden wollenden Röcheln überleitete. Schicken Münchner Filmkritiker nun statt ihrer selbst angeschossene Brauereipferde in die Pressevorstellungen? Wundern würde mich das nicht. Aber dann erklang das vertraute Düdeldidüp eines Handy. Angeschossene Brauereipferde telefonieren doch nicht während einer Pressevorstellung! Manchmal erkennt man Filme am besten an ihren Zuschauern. Und die Grenzen der Kritik gleich mit.

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