: Der Tag, an dem KITO kam
■ Das Kulturzentrum „Altes Packhaus Vegesack“ wurde Samstag eröffnet
„Kunstprovinz ist da, wo man sie zuläßt: Nicht bei uns in Bremen-Nord!“ Mit dieser Parole werben die Gründer des neuen „Kunstverein Nord“ in der gewesenen Kulturbrache Vegesack Mitglieder und sprechen sich selbst Mut zu. Das „Alte Packhaus Vegesack“ soll endlich dafür sorgen, daß der Bremer Norden Selbstbewußtsein und eigenständiges Profil demonstrieren kann. Was jeder weiß: dies gelingt, wenn überhaupt, nur mit Kultur.
Samstag war nun endlich der Tag, an dem „KITO“ kam. Halb Vegesack drängelte sich abends erwartungsvoll auf dem Hof vor dem Packhaus. Eröffnung mit Musik und Theater sollte es geben, auf dem Dach eines alten Reisebusses glänzte verheißungsvoll Band-Equipment. Als es langsam eng auf dem Hof wurde,
und ich mich gerade fragte, woher eigentlich dieser seltsame Kinderwagen da links neben mir kommt, der wie ein Schützenpanzer gesichert war und irgendwie zu leben schien, brach urplötzlich Chaos aus. Knallfrösche flogen in die Menge, an verschiedene Stellen des Hofes schossen Stichflammen in die Höhe, instinktiv wollte jede fliehen, aber wohin?
Ehe wir die Ursache der Störung unseres Wartens richtig begriffen, waren wir bereits gefangen in einem sich heiß entwickelnden Kampf, in dessen Verlauf militante Rollstuhlfahrer rücksichtslos durch die Menschentraube heizten, Babys aus an Flaschenzügen hochgezogenen Karren plumpsten und ein stel ziges Vier Meter Monster - eine Mutation zwischen verwachsemem Ameisenbär und Moorlei
che - mit Latten bewaffnet wild um sich schlagend die Eröffnung zu sprengen versuchte. Das kulturbeflissene Publikum hatte keine Chance: Frauen wurden geschubst, Rentner naßgespritzt und - die Begeisterung war riesig. Unter dem Titel „Decrocher la lune (das Unmögliche möglich machen) verwandelten die beiden französischen Gruppen Compagnie Jo Bithume und Lo Jo Triban Rezoo die leblos sanierte Altstadtecke in einen quirligen Kessel voller spektakulärer Clownerie, Akrobatik und packender Musik.
KITO hat mit diesem einstündigen Straßenspektakel für ihr eigenes Programm ein Zeichen gesetzt, dem zu entsprechen die Vegesacker MacherInnen hoffentlich die notwendige Dauer -Power aufbringen können. Auch
mit dem ersten regulären Konzert am gleichen Abend, dem des gefragten Saxofonisten Klaus Kreuzeder und des Gitarristen Henry Sincigno wurde das Niveau hochgehängt.
Und das soll auch in Zukunft Maßstab bleiben. Theater, Kabarett und Kleinkunst sollen ebenso Bestandteil des Programms sein, wie z.B. die „Chaos-Woche“ vom 7. bis 12.5., in der es neben Veranstaltungen zur Chaos-Theorie auch Chaos -Musik und die Ausstellung „Schönheit im Chaos“ geben wird.
Apropos Ausstellung: Anatol war da. Der Kunstverein Nord eröffnete sich mit seinen Arbeiten. Die paßten gut ins dekorativ-rustikale Ambiente dieses etwas zu dunklen und viel zu niedrigen Ausstellungsraumes, in der es Kunst, die nicht so grob gehobelt wie die des Schmieds und Künstlers Anatol Herzfelde daherkommt, recht schwer haben dürfte. Anatol, der es immer gut meint mit den Menschen, der Natur und überhaupt allem, hatte leider nicht viel mehr zu sagen, als sich an Dangaster Saufgelage unter Männern zu erinnern. Sein gezeigtes Kunsthandwerk war auch bestenfalls gut gemeint, dafür jammerte er richtig geknickt über 'die Jugendlichen‘, die überall Kunstwerke beschmieren. Wer in den Kunstverein einträte, könne so dafür sorgen, daß dieser erzieherisch tätig werden kann, schloß der hauptberufliche Verkehrserzieher naiv und nett. Dabei hielt er sich immer schön an seinem breitkrempigen schwarzen Hut fest, den er brav zur Rede abgenommen hatte.
achim könneke
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