: Der Superpapa
Roland Koschnicke arbeitet als Tagesvater. In Bischofswerda (Oberlausitz) betreut der 60-Jährige tagsüber zwei Kleinkinder. Eine verantwortungsvolle Aufgabe
von Thorsten Eckert (Fotos) und Sebastian Martin (Text)
Roland Koschnicke geht auf Nummer sicher. „Jetzt muss ich euch nur noch anschnallen, falls wir in eine Polizeikontrolle kommen“, sagt er und legt den Sicherheitsgurt für Hannah und Luca an, die eingemummelt im Kinderwagen sitzen. Für sie scheint die Welt wieder in Ordnung zu sein. Nichts erinnert an das Theater, als sie vor fünf Minuten noch gestritten haben, wer denn nun als Erster seine Wintersachen angezogen bekommt. Beide genießen bei der Spazierfahrt vielmehr friedlich die Sonne und schauen nach links und rechts, wo der Wind die letzten Blätter von den Bäumen weht.
Roland Koschnicke atmet kurz durch. Denn als Tagesvater muss man gute Nerven haben. „Wenn man mit den Kleinen die ganze Zeit drin wäre, würden alle irgendwann am Rad drehen“, sagt er. Deshalb geht's mit Hannah und Luca immer nach dem Obstfrühstück an die frische Luft. Jeden Vormittag, bei Wind und Wetter. Schließlich mache es Kindern auch Spaß, mit Regensachen und Gummistiefeln durch Pfützen zu platschen, sagt der Tagesvater.
Vor zehn Jahren hätte sich Roland Koschnicke nicht vorstellen können, zwei Kleinkinder beruflich durch Bischofswerda zu schieben. Doch als er mit Mitte 50 seinen Job als Werkzeugmacher verloren hatte, stand er vor der Qual der Wahl: Entweder in die Schweiz gehen oder irgendetwas anderes bis zur Rente machen. Die Entscheidung nahm ihm seine Frau mehr oder weniger ab. Denn sie wollte nicht die Oberlausitz verlassen und auch keine Fernbeziehung führen.
Sie ermunterte ihren Mann vielmehr, ebenfalls eine Kindertagespflege zu eröffnen. Das eigene Haus am Stadtrand war ja groß genug. Und Erfahrung im Umgang mit Kindern hatte der heute 60-Jährige auch. Als fünffacher Familienvater weiß er, wie Windeln gewechselt und Zöpfe geflochten werden. Natürlich ohne Ziepen, wie er sagt. Also drückte Roland Koschnicke noch einmal monatelang die Schulbank und absolvierte Praktika, um sich zum Tagesvater ausbilden zu lassen. Er lernte, wie man mit dem Stress umgeht, aber auch, was man den Kindern auf den Weg mitgeben muss. Denn die Mädchen und Jungen sollen nicht nur betreut, sondern auch selbständig werden und zum Beispiel soziale Kompetenzen erlernen. Hannah und Luca hören deshalb auch ab und zu ein strenges Wort. So wie jetzt. Immer wieder ärgert der Zweijährige die ein paar Monate jüngere Hannah, bis der Tagespapa mit ruhiger, aber bestimmter Stimme eingreift.
Die berufliche Neuorientierung hat der 1,70 Meter große Mann mit dem ergrauten Vollbart bis heute nicht bereut – auch wenn er oft einen Zwölf-Stunden-Tag hat, weil er nach 17 Uhr die Räume saubermachen und Buch führen muss. Sein Arbeitsleben sei heute aber entspannter als das eines Werkzeugmachers, in dem es auf Hundertstel Millimeter ankomme und es permanent Termindruck gebe, sagt Roland Koschnicke. Wer das Trio bei seinem Spaziergang durch Bischofswerda begleitet, kann dies kaum glauben. Denn Hannah und Luca durften inzwischen aus dem Wagen aussteigen und rennen jetzt über eine große Wiese – in der Hoffnung, Mäuselöcher zu finden. Der 60-Jährige immer hinterher, denn die Verantwortung ist groß. „Aber die Kinder sollen die Welt entdecken dürfen“, sagt er.
Vielen Männern ist dieser Job vermutlich zu anstrengend. Lediglich drei sind beim Verein für Kindertagespflege in Bautzen registriert. Das sind fünf Prozent der Mitglieder, etwa so viel wie im Bundesdurchschnitt. Dabei ist die Nachfrage groß. Viele Kommunen suchen dringend Menschen, die Kinder betreuen – nicht zuletzt, weil ab August dieses Jahres auch Eltern von einjährigen Kindern einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz haben. Dem Statistischen Bundesamt zufolge fehlen aber noch 220.000 Plätze, weshalb der Deutsche Städtebund mit einer Klagewelle der Eltern rechnet.
Die beiden Plätze in der Kindertagespflege von Roland Koschnicke in Bischofswerda sind bis Herbst 2014 ausgebucht. Mehr Kinder will er nicht aufnehmen, auch wenn sich der Stress dann vielleicht finanziell wenigstens etwas mehr rechnen würde. Denn pro Kind und Stunde erhalten Tagesväter zwischen fünf und neun Euro. „Aber ich habe ja nur zwei Hände“, sagt der Bischofswerdaer, während er mit Luca und Hannah wieder zu Hause ankommt.
Genau rechtzeitig. Denn das Mittagessen wird in dem Moment angeliefert, als das Trio vor der Haustür steht. Nun beginnt der Stress. Die Wintersachen müssen ausgezogen, die Hände gewaschen und der Tisch gedeckt werden. Und das am besten zeitgleich, wenn es kein Geschrei geben soll. Doch Roland Koschnicke lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Geschickt hält er die beiden Kleinkinder bei Laune, bis er schließlich den Tischspruch aufsagt: „Auf dem Berg sitzt ein Zwerg und pfeift ein Lied – guten Appetit!“