■ Gastkommentar: Der Streit geht weiter
Mit dem Gedenkgang vom 14. November haben wir vom Aktiven Museum gemeinsam mit vielen dem nun bundesrepublikanisch „verordneten Antifaschismus“ unsere Konzeption des würdigen Gedenkens der Opfer der Nazizeit entgegengestellt. Unser Weg vom Gestapo-Gelände, dem Ort der Täter, die Verfolgung und Vernichtung an ihren Schreibtischen erdacht und organisiert haben, über das frühere Ballhaus Clou, das von den Nazis als Sammellager für die Deportation jüdischer Berliner mißbraucht wurde, zur Tiergartenstraße 4, der Adresse, von der aus die Euthanasieaktion T 4 durchgeführt wurde, hat ein Stück des Leidensweges tatsächlicher Opfer der Nazizeit passiert, an die wir dort, am Ort ihres Leidens, erinnert haben. Die Ansprachen von Franz von Hammerstein, Alica Fuss und Elis Huber haben auf sehr unterschiedliche Weise unsere Argumente gegen die „Gedenkzentrale“ in der Neuen Wache zusammengefaßt, die wir seit Monaten – leider vorerst folgenlos – vorgetragen haben. Der Verein Aktives Museum gehörte zu den ersten Organisationen, die nach Bekanntwerden der Kohlschen Umbaupläne gegen die nun bundesdeutsche Indienstnahme der Neuen Wache protestierten. Wir haben damals gefordert, in diesem Bau, der auf so eindrucksvolle Weise den Kulissenwechsel identifikationsstiftender Staatssymbole des jeweiligen Heldengedenkens zeigt, die Brüche und Widersprüche deutscher Geschichte zu dokumentieren. Statt dessen wurden die letzten Spuren der Geschichte beseitigt und dort eine Wegkapelle eingerichtet, die Versöhnung stiften soll – eine Versöhnung, die es unserer Meinung nach zwischen Opfern und Tätern nicht geben kann. Deutschland ist und bleibt vor der Weltgeschichte primär das Land der Täter, das heißt die Nation, die für zwei Weltkriege und den fabrikmäßig betriebenen Völkermord verantwortlich ist. Wir können uns nicht über ein Opfer-Denkmal in die Gemeinschaft der Nationen hineinschummeln, die von Deutschland überfallen und erobert wurden. Aufgabe einer Gedenkstätte soll es sein, zum Denken anzuregen und aus der Geschichte für unser Handeln zu lernen. Das geht nur, wenn wir die Verantwortung für die NS-Vergangenheit wirklich annehmen, wenn wir es lernen, „Schmutzflecken“ auf unserer nationalen Identität zu ertragen, statt sie in Harmonieseligkeit zu übertünchen, wie dies nun per Kanzler-Oktroi in der Neuen Wache geschehen ist. Sie wurde damit zum Monument dessen, was Herr Heitmann als „Einordnen der NS-Zeit“ in die Geschichte gefordert hat.
Ich bin allerdings davon überzeugt, daß die Debatten der vergangenen Monate um die Neue Wache nicht umsonst waren. Schließlich wurde dieses Gebäude in unserem Jahrhundert allein fünfmal umgestaltet, warum sollte es nicht noch ein sechstes Mal verändert werden? Dafür wünsche ich mir jedoch eine breite öffentliche Diskussion über Sinn und Zweck eines solchen Ortes wie über seine künstlerische Form. In diesem Sinn markiert unser Gedenkgang nicht das Ende des Streites um die Neue Wache, sondern einen neuen Beginn. Christine Fischer-Defoy
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