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Archiv-Artikel

Der Sterbestreik

Bewundernswertes Highlight: Victor Ullmanns „Kaiser von Atlantis“

Mit der Aufführung von Victor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis oder Der Tod dankt ab“ ist der Bremer Oper ein bewundernswertes Highlight gelungen. Das ist besonders erfreulich angesichts der Tatsache, dass in Sachen zeitgenössischer Musik sich hier doch recht häufig die eklektizistische Postmoderne tummelt, worüber „jedes Jahr eine Uraufführung“ nicht hinwegtäuschen kann.

Die Geschichte des 1943 im „Vorzeige-Konzentrationslager“ Theresienstadt geschriebenen Werks, dessen 1898 geborener jüdischer Komponist unmittelbar nach der Generalprobe – die öffentliche Aufführung wurde von der SS verboten – in Auschwitz/Birkenau ebenso wie sein Librettist Petr Kien und dessen Frau getötet wurde, ist einfach. Der Tod verweigert seine Arbeit, weil angesichts des Massenmordens durch den größenwahnsinnigen Tyrannen er das würdige und natürliche Verhältnis zwischen Leben und Sterben nicht mehr gewahrt sieht. Die Menschen können nicht mehr sterben, bis der Kaiser ein Einsehen hat, sich selbst opfert und so der Tod bereit ist, wieder in seine Funktionen einzutreten.

Das ist natürlich eine Parabel auf die nazistische Diktatur – und das haben die Machthaber wohl gemerkt –, das ist aber auch eine zeitlose künstlerische Verarbeitung von Macht- und Machtmissbrauch, ein Aufschrei für die Würde und die Rechte der Menschen. „Todwunde ringen mit dem Leben, um sterben zu können“, Feinde lieben einander und Soldaten streiken.

Das ist in Szene und Musik durchaus gebrochen und geradezu brechtisch aufbereitet, was die Regisseurin Rosamund Gilmore in ihrer neunten Bremer Arbeit zusammen mit Nicola Reichert (Bühne und Kostüme) kongenial im Concordia-Theater in Szene setzt. Die Spieler ziehen sich auf der Bühne um, das kleine Orchester sitzt auf der Bühne, die Zuschauer hocken wie in einem überfüllten Lokal an viereckigen weiß gedeckten Tischen und werden mehrfach gebeten, umzuziehen, um ganz schnell auf dem frei gewordenen Platz eine Bühne zu zaubern. Das ist großartig, das erlaubt mitdenkendes Schauen und Hören und Identifikation gleichermaßen.

Geradezu brillant und mit vielen ergreifenden Zwischentönen George Stevens als Kaiser, schade, dass es für ihn im augenblicklichen Spielplan so wenig zu singen gibt. Jennifer Bird konnte hier ebenso beeindrucken wie als Mozartsche Konstanze, wunderschön, wie sie den Weg der Liebe zusammen mit dem Soldaten Thomas Scheler zeigt. Karl Huml als Tod, Karl Küsters als Lautsprecher, Yaroslava Kozina als Trommler und so gut wie lange nicht mehr: Mihai Zamfir als Harlekin.

Die markanten Themen und die einfallsreiche präzise Schnörkellosigkeit der Musik war in besten Händen bei Christian Günther, der als 2. Kapellmeister des Bremer Theaters damit seine erste, rundherum gelungene Einstudierung vorlegt. Mahler und Berg, Korngold und Puccini, vor allem Kurt Weill und Hanns Eisler seien hier nur genannt, um eine Richtung des Schönberg-Schülers Ullmann zu beschreiben, denn seine Musiksprache ist ungemein authentisch und eigenständig: zwischen Avanciertem und Retrospektivem, von zum Teil bizarrer Schärfe und wunderschöner Farbigkeit. Die vierzehn Bremer Philharmoniker spielten die originelle schlagzeuglastige Partitur offensichtlich mit großer Begeisterung. Übrigens: gerettet wurde diese Partitur nur, weil man Ullmann überreden konnte, sie nicht mit nach Auschwitz zu nehmen, was er vorhatte.

Ute Schalz-Laurenze

Nächste Aufführungen: 10., 17. und 21.12. jeweils um 20 Uhr im Concordia an der Schwachhauser Heerstraße