: Der Staatsabbau ist vorbei
Die Subventionen haben Rekordniveau erreicht. Dennoch besteht die Bundesregierung darauf, daß die Geldgeschenke doch eigentlich abnähmen ■ Von Hermannus Pfeiffer
Hamburg (taz) – „Subventionen sind schlecht!“ Diesen fundamentalen Grundsatz der Neoklassik lernt jede Wirtschaftsstudentin im ersten Semester auswendig, und auch Helmut Kohl ist sich da ganz sicher. Dumm nur, daß alle paar Jahre ein offizieller Subventionsbericht erscheint. Und der vermeldet Rekorde. Die Finanzhilfen und Steuergeschenke des deutschen Staates dürften 1997 demnach auf über 115 Milliarden Mark geklettert sein – eine neue historische Höchstmarke.
Trotzig besteht die Bundesregierung jedoch darauf, daß die Subventionen des Bundes eigentlich doch abnähmen. Finanzminister Theo Waigel verlautbarte letztens in einer Pressemitteilung: „Die Gesamtentwicklung der Subventionen des Bundes entspricht der Zielsetzung der Bundesregierung, den Subventionsabbau fortzusetzen.“ Das komme halt im Subventionsbericht nicht deutlich genug zum Ausdruck.
Schuld seien die Verstromungshilfen in Höhe von 7,5 Milliarden Mark zugunsten des Steinkohlebergbaus, die der Bund seit 1996 übernehmen mußte. Ob solche entschuldigend angeführten „Sonderfaktoren“ nicht allezeit wieder auftauchen werden – heute der Kohlepfennig und morgen die Bahn-Altlasten –, darüber schweigt der Bundesbericht. Summa summarum muß der amtsmüde Waigel einen Anstieg zwischen 1995 und 1998 verantworten, der – allein für den Bund – von 36 auf mehr als 39 Milliarden Mark recht deutlich ausfällt. Zudem wächst das Gewicht der tatsächliche Geldzahlungen an Unternehmen: Die direkten Finanzhilfen werden im kommenden Jahr fast 60 Prozent aller Bundessubventionen ausmachen. Die restlichen Subventionen sind Steuervergünstigungen, also Nichtzahlungen von Firmen und Häuslebauern.
Die Analyse Frank Stilles, Wissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), fällt differenzierter aus: „Seit den Achtzigern ist tatsächlich eine Rückführung der Subventionen erfolgt“ – in Westdeutschland und für einzelne Sektoren wie Landwirtschaft oder Stahl. Aber insgesamt betragen die Bundeshilfen seit 1993/94 konstant gut ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Immer noch entfallen nur zwanzig Prozent davon auf Neuinvestitionen; der Rest geht in den Erhalt alter Industriezweige.
Der große, ideologisch motivierte Schwung des Staatsabbaus, wie er die achtziger Jahre dominierte, scheint auch in anderen Ländern vorbei zu sein. So beobachtete die OECD in ihren Mitgliedsländern bis 1989 einen erheblichen Rückgang der nominalen Industriesubventionen, seit 1990 stiegen die Staatsbeihilfen jedoch in den führenden Industrieländern wieder deutlich an.
In bezug zum Bruttoinlandsprodukt sei das deutsche Niveau im internationalen Vergleich sogar niedrig, analysiert Strukturforscher Stille. Er beklagt jedoch nicht bloß die mangelhafte Reduktion, sondern fragt auch nach den Förderzielen. Dabei, meint er, sollten unbedingt andere Prioritäten gesetzt werden: nötig seien kräftigere Hilfen für Investitionen sowie für Forschung und Entwicklung.
Tatsächlich weist der Bonner Subventionsbericht einen Rückgang der Technologie- und Innovationsförderung um über 15 Prozent aus, auf dann noch 0,6 Milliarden Mark. Freilich muß vor einer Überinterpretation gewarnt werden: Normale staatliche Zahlungen, etwa des Forschungsministeriums, werden nicht als Subvention verbucht.
„Warum“, fragt der Bremer Wirtschaftsprofessor Jörg Huffschmid, „sollen nicht auch Krankenhäuser subventioniert werden“, auch „für den laufenden Betrieb“? Nicht prinzipienfester Subventionsabbau als solcher sei ein sinnvolles Ziel. Entscheidend sei vielmehr eine Antwort auf die Frage: „Was sind öffentliche Aufgaben?“ Huffschmid plädiert entgegen dem Zeitgeist grundsätzlich für Subventionen. Allerdings nicht für jeden und nicht um jeden Preis. „Aber da, wo Sachen politisch gewollt sind, aber marktwirtschaftlich nicht zu erzielen sind, müssen wir Subventionen einsetzen.“
Derweil definiert die Bundesregierung ihre Wirtschaftshilfen großzügig und summiert auch manche Zahlung an private Haushalte dazu, etwa für Eigenheimbau. Mit einer noch weitläuferigen Definition kommen einige Forschungsinstitute auf eine Subventionssumme von über 300 Milliarden Mark. Am Ende geht es aber nicht vorrangig um Definitionen und Zahlenspiele. „Die Subventionen haben ein Ausmaß erreicht, das die Frage nach der Kompatibilität mit einer marktwirtschaftlichen Grundordnung aufwirft“, konstatieren Astrid Rosenschon und Alfred Boss schonungslos für ihr Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Ungewöhnliche Töne kamen hingegen letztens aus dem Zentrum des Neoliberalismus: von der Weltbank. In ihrem jüngsten Weltentwicklungsbericht singt sie eine Ode an den Staat. Ein minimalistischer Staat sei nicht die optimale Lösung, sondern „ineffektiv“. Weltbank-Fazit: „Entwicklung setzt einen effektiven Staat voraus“, und zwar einen, der die Tätigkeit privater Unternehmen und Personen fördert und ergänzt.
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