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Der Sideman als Bandleader

„Wie ein Quarterback“: Ron Carter, der die Rolle des Jazzbassisten auf zahllosen Alben entscheidend mitdefiniert hat, spielt am Dienstag in der Fabrik

Stanley Clarke, seinerseits weltberühmter Bassist, muss es eigentlich wissen, wenn er so vom Jazz im Allgemeinen und diesem Kollegen im Besonderen spricht: „Gäbe es Ron Carter nicht, gäbe es so viel weniger Kunst auf dieser Welt.“ Folgt man dieser Auffassung und betrachtet Carters Werk – ohne den 1937 Geborenen, der an gut 3000 Platten mitwirkte, täte sich tatsächlich ein Loch auf in der Geschichte des US-amerikanischen Jazz. Bei aller darunter zu findenden Dutzendware hat Carter eine beträchtliche Anzahl von Alben vorzuweisen, die Geschichte schrieben.

Neben Klassikern wie McCoy Tyners The Real McCoy oder Wayne Shorters Speak No Evil begründen insbesondere die Arbeiten mit Miles Davis seinen Ruf. Die Aufnahmen des letzten Miles Davis Quintet, das er gemeinsam mit Davis, Herbie Hancock, Wayne Shorter und Tony Williams bildete, bestechen in ihrer einzigartigen Qualität. In den Jahren 1963–68, der gewiss heißesten Phase des Modern Jazz, stand Carter in einem der Zentren der Musikgeschichte. Davis‘ Quintet dieser Zeit zelebrierte, wenn man so mag, ein letztes Mal klassischen Jazz. Dieser wurde derart intensiv und mit zunehmender Dringlichkeit gespielt, dass es heute fast so klingt, als seien die Akteure sich bewusst gewesen, die große Zeit akustischer Jazzkapellen würde Ende der 1960er vorbei sein. Schnell noch alles sagen und ausprobieren und die Grenzen überschreiten, die einem Übergang zur Pop-Moderne im Wege stehen könnten.

Danach kamen Rock, Funk und elektrische Bands; Davis folgte diesem Weg. Carter blieb dem akustischen Klang treu, hatte er sich doch als Kontrabassist einen Riesennamen gemacht. Sein klarer, trockener und stets präsenter Sound und sein Spiel hatten all jene, die Bassisten immer noch als sidemen abtaten, ein für alle Mal eines Besseren belehrt. Seine Basslinien bestachen in ihrer melodiösen Art, während er zugleich als enorm versierter Rhythmiker die Richtung einer ganzen Band zu beeinflussen wusste. „Der Bassist ist wie ein Quarterback“, bemerkte Carter hierzu: „Wenn er weiß, was zu tun ist, ist er nur in der Wahrnehmung der Leute im Hintergrund. Den Verlauf der Musik bestimmt aber er.“

Nachzuhören ist das am Besten auf seinen eigenen Platten, die er seit 1970 aufnimmt. Gerne ohne Bläser und auch mal am Cello oder Piccolobass aktiv, erweist er sich dort als souveräner, nie aber egomanischer Bandleader. Eine Attitüde, die nicht zuletzt der Zeit bei Miles Davis geschuldet ist: „Miles war kein Egoist, die Musik war das Ego. Wir versuchten jede Nacht so gut wie möglich zu spielen.“ Diesem Leitsatz ist er bis heute treu. Seien es Mainstream-taugliche Jazz-Unternehmungen, seine seit 1977 betriebene Zusammenarbeit mit brasilianischen Musikern oder auch glaubwürdige Ausflüge in R‘n‘B-Gefilde, nachzuhören etwa bei Erykah Badu: Stets dient Carter dem Song. Und dabei klingt Carter wie kein anderer Bassist, gehört zu den wenigen Musikern, die ihren ganz eigenen Sound haben.

In der Fabrik gastiert Ron Carter mit Stephen Scott (p), Steve Kroon (perc) und Payton Crossley (dr). Gerd Bauder

Dienstag, 21 Uhr, Fabrik

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