KOMMENTAR: Der Senat als Tortenheber
■ Der Verkauf des Potsdamer Platzes geht weiter
Irgendwann vor über 100 Jahren entschieden die Stadtplaner, mehrere Straßenzüge sternförmig vom Potsdamer Platz ausstrahlen zu lassen. Es war eine weitsichtige Entscheidung, denn dadurch wurden die Grundstücke rundherum zu handlichen Tortenstücken portioniert. Seit dem Fall der Mauer ist der Appetit der Großkonzerne geweckt. Erst schluckte Daimler-Benz, jetzt schaufelt Sony — der Senat fungiert als Tortenheber.
Die Stadt braucht Geld und Arbeitsplätze, und deshalb muß das wohl alles so sein. Woran mag es liegen, daß man trotzdem von merkwürdigen Gefühlen beschlichen wird? Bestimmt hat es damit zu tun, daß es nicht irgendwelche süßen Teilchen sind, die der Senat hier so mir nichts, dir nichts über den Tresen schiebt: Es sind die begehrtesten Areale, die diese Stadt zu vergeben hat. Sind sie verkauft, sind sie auch weg: »You can't have the cake and eat it too.«
Beim Geschäft mit Daimler-Benz konnte die Stadtregierung noch auf die erhoffte Signalwirkung für andere Investoren verweisen. Ein ähnlicher Kniefall, wie damals praktiziert, läßt sich nach der Entscheidung des Bundestages, den Regierungssitz nach Berlin zu verlegen, schon schwerer begründen. Auf der Habenseite kann der Senat lediglich verbuchen, daß der Konzern auf eigene Kosten das seit Jahren geplante und nie realisierte Filmhaus herrichten will. Ansonsten mußten die Kölner Sony-Chefs schon gestern die Hoffnungen der Stadtregierung nach unten korrigieren: Nicht Deutschland- und Europa-Zentrale kommen nach Berlin, sondern lediglich das Europa-Hauptquartier mit schlappen 200 Mitarbeitern. Für Sony geht es wohl um etwas anderes: Noch nach der Entscheidung für den Regierungsumzug konnten sie sich ihr Stückchen auf den Teller heben. Hans-Martin Tillack
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