: Der Seher sieht träge Bazillen
Ungeklärtes nach dem 0:0 in Düsseldorf: Hat Christoph Daum die werksimmanente Leverkusener Rückrunden-Betriebsstörung im Griff? ■ Von Katrin Weber-Klüver
Düsseldorf (taz) – Weil der Rheinländer mit seinem Urteil nicht lange fackelt, trägt Christoph Daum gerade den Beinamen „Der Seher“. Der Trainer von Bayer Leverkusen hatte nämlich vor dem vorvergangenen Spieltag vorausgesagt, sein Team werde „einen Arbeitssieg“ schaffen. Das Orakel erfüllte sich beim 1:0 gegen den MSV Duisburg präzise.
Vor Leverkusens Gastspiel bei Fortuna Düsseldorf nun war der Trainer ungleich aufgewühlter. Jetzt hatte er im Gespür, daß etwas Mysteriöses, ja Bedrohliches seinen Kader durchdränge. Bayer war im Dezember fast Herbstmeister geworden und mit Lob beträufelt für seinen schönen, schnellen Fußball.
Nach zwei mäßigen Rückrundenauftritten schwante Daum jetzt, daß sich über den Winter „Trägheit und Bequemlichkeit“ unter seinen Spielern breitgemacht haben könnten. Dieser „merkwürdige Bazillus“ ist ein tradiertes Übel und fällt die Werksfußballer regelmäßig in Rückrunden an. Eine werksimmanente Betriebsstörung. So als ginge den Spielern im Winter die Puste aus oder als fehle die richtige Mischung aus Euphorie und Bodenhaftung, um Erfolge zu konservieren.
Vor der Reise nach Düsseldorf orakelte daher Christoph Daum: „So wie es derzeit aussieht, werden wir als Verlierer zurückkommen.“ Als aber dann am Spätnachmittag des Sonnabends der geduschte Ulf Kirsten hinten rechts im Mannschaftsbus die Karten für eine gepflegte Après-Match-Partie mischte, hatte der Stürmer zwar so wenig getroffen wie irgend einer seiner Mannschaftskollegen. Aber die Düsseldorfer waren auch nicht erfolgreicher gewesen. Deren Trainer Rudi Wojtowicz wußte, daß das etwas mit Mangel an „geistiger Frische“ zu tun hatte. Die wiederum hatten die Minimalisten aus Düsseldorf nach seiner Einschätzung beim Sieg gegen Dortmund aufgebraucht.
Doch trotzdem war es reiner Zufall und für die Gäste vor allem Glück, daß Daums Glaubwürdigkeit als Seher angekratzt ist. Ganze zwei ernstzunehmende Chancen gab es in diesem Spiel, beide für Düsseldorf. Doch offenbar litten die Fortunen an der Offensivschwäche der Leverkusener sehr. Während die Juran und Dobrowolski üblicherweise – gegen Stuttgart und Dortmund durch Siege belegt – dramatische Überlegenheit des Gegners einfach durch näherungsweise hundertprozentige Ausnutzung eigener Chancen kontern, wußte nun kein Düsseldorfer etwas mit der zögerlichen und von Fehlpässen geprägten Spielweise der Leverkusener anzufangen.
Bei denen wiederum ist auf wunderliche Weise der spielerische Vorwärtsdrang gestört. Peter Lehnhoff schleppt sich wie ein Spielbeobachter über die rechte Seite. Nico Kovac, eigens statt des defensiveren Ze Elias in der Startformation, um „Druck zu machen und auf Risiko zu setzen“ (Daum), kam gleichfalls nicht in Schwung. Die solideste Leistung zeigte noch Christian Wörns als Aufsicht für Sergej Juran.
Nach vier Punkten aus drei Spielen steht die Leverkusener Selbsteinschätzung auf der Kippe zwischen Zuversicht und Sorge vor dem Rückrundenkoller. Daum betet ohne Unterlaß herunter, daß er wohl doch keine „Übermannschaft“ habe, mit dem Gerede von der Meisterschaft jetzt Schluß sein solle und man sich in „Realitätssinn und Bescheidenheit“ zu üben habe. Kommenden Sonntag wird sich einiges weisen. Realität ist: Schlägt man da Tabellenführer Bayern München ist man auf zwei Punkte dran.
Verliert man, gilt tatsächlich Manager Reiner Calmunds alte Weisheit, daß nur von „Spiel zu Spiel“ zu denken sei und nach jedem Spieltag allein der Punkteabstand zu Rang sechs zähle. Womöglich nutzt es der Mannschaft, daß sich zumindest ihre Fans in der Winterpause an innerer Zuversicht und äußerer Präsenz gewonnen haben. Nie waren sie so zahlreich und laut wie heute. Und das läßt wirklich darauf schließen, daß die traditionell so blutarme Idee Bayer 04 doch entwicklungs- und lebensfähig ist. Oder wie ein neutraler Beobachter im Rheinstadion mit einer Mischung aus Unglauben und Anerkennung konsterniert bemerkte: „Die wollen doch nicht etwa ein richtiger Fußballverein werden!“
Christoph Daum sieht so was kommen.
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