: Der Schokoriegel im Wappen der Studententage
Nicht loyale Wissenschaft, vielmehr Vorkämpfer für den Kommerz/ Hochschulpolitische Themen sind in den Hintergrund gedrängt worden ■ Aus Leipzig Christian Füller
Am Deutschen Hochschul- und Studententag in Leipzig haben rund 10.000 teilgenommen, das Interesse an hochschulpolitischen Themen kann als verhalten bis lauwarm charakterisiert werden. Das letzte Mal fand eine derartige Veranstaltung vor 50 Jahren in Deutschland statt. Der viertägige Studententag, eine Art Hochschulmesse, bewegte sich im Spannungsfeld von Kommerz und Kritik. Während die deutsche Industrie zu zukünftigen Arbeitskräften Kontakte knüpfte, machten sich SozialwissenschaftlerInnen Gedanken über kritische Potenzen ihrer Disziplin vor allem in den FNL. Die Kultur reichte von Motetten des Thomanerchores über Autorenlesungen bis zu den 'Zöllnern‘. Dorthin strömte auch das Gros.
Vom Donnerstag bis Samstagabend fand auf Einladung des Rektors der Uni Leipzig ein dreigeteiltes Programm statt: Vorlesungen und Diskussionsrunden, eine kommerziell ausgelegte Computermesse auf zwei Etagen des Hörsaalgeländes und kulturelle Veranstaltungen. Für die Organisatoren, dem Verein Deutscher Hochschul und Studententag (DHST e.V.) waren die 5.000 verkauften Programmhefte das Maß der Beteiligung. Die Teilnahme an den einzelnen Veranstaltungen fiel unterschiedlich aus: Der beinahe ausgestorbenen hochschulpolitischen Messe mit VertreterInnen der verschiedenen Modelle studentischer Selbstorganisation, die es derzeit in Deutschland gibt — den Asten (Allgemeine Studentenausschüsse) und den ostdeutschen Studentenräten — stand ein gutbesuchter hochschulpolitischer Frühschoppen gegenüber. Dort diskutierte unter anderem ein Theoretiker und Mitkämpfer der „68er“, Bernd Rabehl, und der Sprecher des Leipziger Studentenrates Peter Pasternack über die „Misere der deutschen Studentenbewegung seit 1968“.
Selbstkritik übte Bernd Okun stellvertretend für die Gesellschaftswissenschaftler der DDR. Er merke im nachhinein, „wie sehr wir die Affirmation betrieben haben“, sagte der zu den „Abgewickelten“ zählende Philosophiedozent bei einer Arbeitstagung des Bundes demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi). Dennoch, meinte Okun, gebe es eine kritische Potenz in den DDR-Sozialwissenschaften. Peter Pasternack kritisierte, daß die DDR- Gesellschaftswissenschaft in der Hauptsache das herrschende politische System bestärkt und keine originären Ansätze in der Theoriebildung zustande gebracht hätte. Inzwischen überschwemmten „Adenauer-Flug- Professoren“ die ostdeutschen Unis, von den Politikern würden nicht loyale WissenschaftlerInnen erwartet, sondern aktive Vorkämpfer der Marktwirtschaft.
Teilweise heftige Kritik geübt wurde am kommerziellen Charakter der Veranstaltung. Ost- und Westdeutsche Studenten-VertreterInnen bezeichneten sie als „Kommerzmesse“. Unmöglich, daß ein Schokoriegel eines Nahrungsmittelkonzerns auf dem Hochschultagsemblem prange, an dessen Milchpulver vor Jahren tausende von Kindern in der „Dritten Welt“ gestorben waren. Olaf Herold vom Leipziger StudentInnen-Rat bedauerte, daß die Probleme der ostdeutschen Hochschulen nicht angesprochen wurden. Auf der abschließenden Pressekonferenz räumte Dirk Behr ein, „die hochschulpolitischen Themen sind langsam in den Hintergrund gedrängt worden“. Behr, einer der Organisatoren, sprach von einem „Teufelskreis“ der Finanzierung. Insgesamt haben 200.000 DM zur Verfügung gestanden. Das Bundesbildungsministerium hatte keine Knete, obwohl Rainer Ortleb als Schirmherr das fingierte Zepter schwang. Ortleb auf dem Sessel des Bildungsministers hatte vor einigen Wochen seine Teilnahme zunächst abgesagt.
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