: Der Prinz und der Bettelknabe
Umstritten verlor Graciano Rocchigiani seinen Kampf um die Box-Weltmeisterschaft im Supermittelgewicht gegen Titelverteidiger Chris Eubank und hofft auf Revanche ■ Aus Berlin Matti Lieske
Chris Eubank haßt das Boxen wie die Pest. „Ein barbarischer Sport“, schimpft er, nie schaue er sich Kämpfe im Fernsehen an. „Wenn ein Boxer sagt, daß ihm das gefällt, was er da tut, muß er eine Schraube locker haben“, fügt er hinzu, „zwei Monate habe ich jeden Tag von morgens bis abends an diesen Typen da gedacht und mich gesorgt. Glaubt ihr, so was macht Spaß.“
Bei dem „Typen“, der ihm so ausdauernd über die Leber gelaufen war, handelt es sich um Graciano Rocchigiani, 30jähriger, bis zum Samstag ungeschlagener Haudegen aus Berlin, der mit dem alten und neuen und noch immer ungeschlagenen WBO-Weltmeister Chris Eubank mindestens zwei Dinge gemeinsam haben dürfte: die Abscheu vor dem Boxen und die Absicht, damit möglichst viel Geld zu verdienen. „Ick bin Boxer. Ick will gewinnen“, faßt der Sohn eines sardischen Eisenbiegers seine Profession in zwei Sätze. Noch knapper drückt es der ansonsten erheblich eloquentere Eubank aus: „Ich bin Preisboxer.“
Der pekuniäre Unterschied zwischen den beiden Berufskollegen allerdings ist gewaltig, nicht nur bei dem Weltmeisterschaftskampf am Samstag in der mit 11.000 Menschen ausverkauften Deutschlandhalle, für den der Titelverteidiger 1,8 Millionen Mark erhielt, Rocchigiani wohl gerade mal 100.000. Prinz und Bettelknabe. 21 Millionen Mark soll das jamaikanisch- britische „Großmaul aus Brighton“ schon mit seinen Fäusten verdient haben, während der Berliner immer noch davon träumt, endlich soviel Geld zu haben, daß er zusammen mit seinem Bruder die ersehnte Pizzeria aufmachen kann.
Eubank hat seine Millionen indes weniger den soliden, aber keineswegs brillanten boxerischen Fähigkeiten zu verdanken als vielmehr seiner Meisterschaft in der Selbstdarstellung. Weil er ja das Boxen haßt, versucht er beständig, sich von den anderen Vertretern seiner Zunft geistig und äußerlich abzugrenzen, dem Image des charmanten, intelligenten Plauderers und modebewußten Poseurs gerecht zu werden, womit er jedes Boxpublikum mühelos zur Raserei treibt. Wo andere den harten, furchtlosen Burschen mimen, gibt Eubank unumwunden zu, daß er schreckliche Angst vor seinen Gegnern hat, denn: „Du mußt Angst haben, sonst wirst du unvorsichtig.“ Andererseits läßt er keinen Zweifel daran, wofür er sich hält: „Einfach der Beste“.
Ein Prädikat, daß ihm nicht nur beim Boxen folgt. 1991 und 1993 wurde er zum bestgekleideten Mann Englands gekürt, was zugegebenermaßen keine Kunst ist, 1993 vom Verband der Friseure sogar zum bestfrisierten Mann der Insel, was schon schwieriger ist, mußte er doch so hochkarätige Konkurrenz wie etwa Paul Gascoigne, Prinz Philip oder den Ehemann von Margret Thatcher aus dem Feld schlagen.
Natürlich zog der 27jährige auch in Berlin die komplette Eubank-Show ab. Zu den donnernden Klängen von Tina Turners „Simply the Best“, stolziert der stolzgeschwellte Champ in den Saal, paradiert ein wenig am Ring auf und ab, um dann mit eruptivem Hüpfer über die Seile zu setzen und in ein mehrsekündiges Schattenboxen auszubrechen. Es folgt die klassische Eubank-Pose: abgewinkelt hängende Arme, der Bauch vorgestreckt wie bei einem trotzigen Dreijährigen und ein Gesichtsausdruck, der direkt dem des Admirals Nelson auf seiner Säule am Trafalgar Square abgeschaut ist. Dann steht er plötzlich versonnen in der Ecke, tupft behutsam einen Handschuh auf den anderen, als überlege er, ob er nicht doch lieber nach Hause gehen und ein paar Gedichte schreiben sollte. Graciano Rocchigiani mit seiner eingefärbten deutschen Flagge über dem rechten und italienischen über dem linken Ohr wirkte dagegen durchaus hausbacken.
„Ich glaube nicht, daß er technisch so stark ist wie ich. Ich glaube nicht, daß er physisch so stark ist wie ich. Ich glaube nicht, daß er psychisch so stark ist wie ich“, hatte Eubank vorher seinen Gegner analysiert. Er täuschte sich in allen drei Belangen, durfte das Duell der Ungeschlagenen am Ende aber dennoch als einstimmiger Punktsieger beenden. Weil die Punktrichter versagten, war die einhellige Meinung im unmutig tobenden Saal, weil er neun von zwölf Runden gewonnen habe, war Eubanks eigene bescheidene Meinung. Die Wahrheit dürfte in der Mitte liegen.
Eubank begann sehr aktiv, Rocchigiani eher abwartend. „Das kann man als Herausforderer nicht machen“, sagte Rocky-Manager Klaus-Peter Kohl, schon da habe er gewußt, daß sein Angestellter nicht mehr gewinnen könne. Optisch wirkte der Berliner im weiteren Verlauf überlegen, doch vielen Schlägen, die im Saal begeistertes Gejohle auslösten, nahm der bewegliche Eubank durch geschicktes Auspendeln Wirkung und Wertung. Andererseits traf er selber meist die Doppeldeckung Rocchigianis, war jedoch hin und wieder mit Körpertreffern erfolgreich. Allzuviel getan hatten sich am Schluß beide nicht. Eubanks Gesicht war makellos, als wäre er lediglich beim Friseur gewesen, und auch Rocchigiani sah weit besser aus als nach manch anderem Kampf seiner Karriere.
Beeindruckt waren die Engländer aber doch von der zähen Gegenwehr des Deutschen und boten sogleich eine Revanche an, wobei sich noch herausstellen muß, ob dies mehr als eine höfliche Geste war. „Im Mai in der Waldbühne mit 25.000 Zuschauern“, baute Promoter Kohl sogleich emsig Luftschlösser, „wenn das Geld stimmt, boxen wir auch auf dem Mond“, meinte der alerte Eubank- Manager Barry Hearn. Graciano Rocchigiani merkte pragmatisch an, daß man dann vielleicht die Gagen etwas gerechter verteilen könnte. Der Traum von der Pizzeria ist noch nicht ausgeträumt.
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