■ Paßvermerke der Polizei bei ausländischen Schwulen: Der Paß und sein Halter
Der Paß ist viel wichtiger als der Mensch. Letzterer ist im Kern eigentlich nur der Halter seines Passes. Dies ist das Ergebnis eines der Gespräche, zu denen sich die Emigranten Kalle und Ziffel in Brechts Flüchtlingsgesprächen trafen – in den späten dreißiger Jahren, in der Bahnhofskneipe von Helsinki, bei einem Glas dünnen Bier. Am Paß, dem wohlabgestempelten, hing schließlich ihre Existenz.
Fast 60 Jahre nach Kalles und Ziffels melancholischen Erörterungen wäre es an der Zeit, sich an eine Neufassung der Flüchtlingsgespräche zu machen. Liest man Meldungen vom Wochenende, so drängt sich die schwule Kneipenszene um den Münchner Gärtnerplatz oder die Frauenstraße als einer der möglichen Orte der Handlung auf. Und die Partner des Dialogs könnten ein Pole und ein Rumäne sein, in deren allerheiligsten und allerwichtigsten Persönlichkeitsbestandteil, ihren Paß, ein deutscher Polizist soeben die Vermerke „Homo-Szene“ und „Homo- Strich“ eingetragen hat.
Deutsche Paßhalter könnten einen solchen Angriff auf ihren Persönlichkeitskern mit Leichtigkeit parieren. Schließlich legt das Paßgesetz der Bundesrepublik abschließend fest, welche Merkmale des Halters „erfaßt“ werden dürfen, und die entsprechende Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums beschränkt sich darauf, einen „Musterpaß“ auszupinseln. Um die Gelüste der Datenhorter zu zügeln, ist sogar festgelegt, daß sich auf dem Paß keinerlei codierte, maschinenlesbare Informationen finden dürfen, die über das gesetzlich Erlaubte hinausgehen.
Solche Raffinesse hatten die Beamten der Münchner Polizeiinspektion Nr.11 nicht nötig – ihr Eintrag erfolgte handschriftlich, für jedermann lesbar, auf den Seiten, die den Visa vorbehalten sind. Schon die Rechtsauffassung, nach der Polizeikontrollen im Paß von Ausländern vermerkt werden dürfen, ist mehr als bedenklich, weil hierduch ein generelles, unspezifiziertes Verdachtsmoment gegen den Paßhalter begründet wird. Außerdem ist der Paß schließlich Eigentum des Herkunftsstaates; in ihm herumzukritzeln ist schlecht mit dem Völkerrecht vereinbar, selbst wenn er aus dem Herrschaftsgebiet Ion Iliescus stammt. Der Eintrag „Homo-Szene“ aber ist schlicht grundgesetzwidrig. Er ist mit der Menschenwürde unvereinbar – und die ist definitionsgemäß nicht auf deutsche Staatsbürger beschränkt.
Der französische Politologe Didier Bigo hat kürzlich dargelegt, daß die Abschaffung bzw. Milderung von Grenzkontrollen innerhalb und an den Außengrenzen der Europäischen Union keinesfalls Zeichen einer zunehmend liberalen Haltung gegenüber Ausländern sei. Vielmehr werden die Kontrollen von den Grenzen ins Innere der Staaten verlegt, gleichzeitig werden sie sozial und „ethnisch“ spezifiziert. Es geht darum, unerwünschte ausländische Minderheiten zu klassifizieren, ihre Angehörigen leichter dingfest zu machen. Offensichtlich gehören für die Polizei die ausländischen Schwulen zu einer solchen unerwünschten Minderheit. Dies um so umstandsloser, als sie mit der „Stricher-Szene“ identifizert werden, die in Polizeikreisen als „kriminogen“ gilt.
Reminiszenzen an den nazistischen „Rosa Winkel“ seitens der aufgescheuchten demokratischen Öffentlichkeit sind gut gemeint, verfehlen aber den polizeistrategischen Zusammenhang des Münchner Exzesses, seine „Modernität“. Deshalb ist es auch unsinnig, die Untaten des 11. Münchener Kommissariats dem Genius loci zuzuschreiben, sie als Ausfluß bayrischer Rückständigkeit zu verharmlosen. Nicht das bajuwarische Landrecht steht in Frage. Sondern der Schutz von Minderheiten in Deutschland. Christian Semler
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