: Der Papst spricht die Kirche selig
■ Von Beginn an Widerstand gegen die Nazis geleistet? / Galinski und Küng fordern Schuldbekenntnis / Demonstration in der Kölner Innenstadt / Kirche brannte ab
Köln/Berlin (ap/taz) - Bis in den textilen Bereich hinein ging die Gestik der Bewältigung der Vergangenheit bei der Papstreise in der Bundesrepublik: zur Meßfeier im Köln–Müngersdorfer Stadion trug Johannes Paul ein schlichtes Meßgewand aus dem Kölner Karmel, in das Fäden aus dem Ordensgewand eingewirkt waren, in dem die jüdische Karmeliterin Edith Stein ihr Gelübde abgelegt hatte. In einer dreistündigen Messe vor 75.000 Zuschauern würdigte der Papst bei der Seligsprechung den „Kreuzweg“ Edith Steins: Sie sei eine „herausragende Tochter Isreals und zugleich Tochter des Karmels“ gewesen, die in ihrem „Leben eine dramatische Synthese unseres Jahrhunderts“ vereinigt habe. Verwandte von Edith Stein und Helmut Kohl nahmen an der Messe teil. Während der Papst noch die Messe zelebrierte, skandierten in der fast menschenleeren Innenstadt von Köln mehrere Tausend teils nackte und kostümierte Demonstranten: „Den Papst und die Katholen soll allesamt der Teufel holen.“ Angeführt wurde die Demonstration von zwölf schwarzgekleideten Büßern mit „Schandmützen“, hohen spitzen Hüten, die auf Schildern bekannten: „Ich habe abgetrieben“ oder „Ich habe von der Kumpanei der katholischen Würdenträger mit den Nazis gesprochen“. Unter einem Baldachin folgte ein Demonstrant mit einem Pappmaschee–Kopf als Papst verkleidet. Seinen Bischofstab zierte das Dollarzeichen. Kirchenpolitisch äußerte sich der Papst an Donnerstag in seiner Fortsetzung auf Seite 2 Tagesthema Seite 3 Kommentar auf Seite 4 Ansprache vor der katholischen Bischofskonferenz. Er bezeichnete Edith Stein und Rupert Mayer als Vertreter des „anderen Deutschland“ und zog bruchlos von ihrem Märtyrertum die Linie zum Widerstand der Kirche. Der habe dem Papst zufolge sofort nach der Machtübernahme begon nen. Summarisch urteilte Johannes Paul II. über die Geschichte der Nazi–Jahre, daß die „unheilvolle Entwicklung nicht mehr aufgehalten werden“ konnte. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski hat die geplante Seligsprechung der von den Nationalsozialisten ermordeten Nonnen jüdischer Herkunft, Edith Stein, scharf kritisiert. Er warf der katholischen Kirche „Versagen in der Vergangenheit“ vor. Die ka tholische Kirche habe mit den Ausnahmen von Domprobst Lichtenberg und Kardinal von Galen zu den Massendeportationen öffentlich „geschwiegen.“ Aus dem kalifornischen Santa Rosa äußerte sich die Nichte von Edith Stein: „Es ist schon bitter, heute schauten Millionen zu, als der Papst unsere Tante seligsprach, aber 1933 bekam sie keine Antwort vom Papst, als sie auf das Schicksal der Juden hinwies.“ Der Theologe Hans Küng forderte anläßlich der Seligsprechung von Edith Stein „ein Schuldbekenntnis“, weil „kein deutscher Bischof in all den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft es gewagt hat, ein öffentliches Wort für die Juden zu sagen.“ Wenige Stunden vor der Seligsprechung der Nonne Edith Stein fing die nur drei Kilometer entfernte Kirche St. Brictius Feuer und brannte nieder. Die Polizei vermutet Brandstiftung. KH
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