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Der Orden muß noch identifiziert werden

■ Im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit werden Relikte alter Zeiten gesammelt / „Haus 1“ soll eine Begegnungsstätte für Forschung, Dokumentation und Ausstellungen werden / Lenins Totenmaske liegt auf dem Ministerschreibtisch

Lichtenberg. Es dauert eine Weile, bis die vier Volkspolizisten entschieden haben, ob die Besucher einen Passierschein brauchen oder nicht. Schließlich füllen sie die Ausweise aus. „Sonst könnte ja auch der Mielke kommen“, begründet einer der Vopos knapp die Formalitäten. Während viele andere Gebäude der ehemaligen Lichtenberger Stasi -Zentrale bereits neue zivile Nutzer wie die Reichsbahn oder das Arbeitsamt gefunden haben, untersteht das „Haus 1“ immer noch dem Staatlichen Komitee zur Auflösung der Staatssicherheit. Hier befand sich die Kommandozentrale der Stasi und der Sitz des MfS-Chefs Erich Mielke. Im fünften Stock des „Hauses 1“ wird jedoch nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil - gesammelt. Ein dreiköpfiger Aufbaustab einer projektierten Gedenkstätte über das Wirken der Stasi ist damit beschäftigt, Gegenstände aus der Hinterlassenschaft des MfS einzulagern, die man teilweise aus dem Müll gerettet hat.

Eine Mitarbeiterin öffnet eine versiegelte Tür, die von einem düsteren Gang wegführt. Auf dem Boden, auf Tischen und Vitrinen steht das Souvenir- und Gedenkarsenal der ehemaligen Staatsschützer. Darunter sind geballte Holzfäuste, ein Modell des Moskauer Funkturms, Meißner Porzellanvasen mit Widmungsinschriften und Leninköpfe als Holzintarsienarbeit. Ferner gibt es Patronenhülsen so groß wie Biergläser, einen Miniaturgrenzstein oder einen „Hauerschein“ für Erich Mielke, ausgestellt vom Kohlenkombinat Mansfeld im Jahre 1975. Dem Gestaltungswillen sozialistischer Andenkenkunst waren offenbar wenig Grenzen gesetzt.

In einem anderen Magazinraum finden sich Ehrenfahnen der SED und kistenweise Abzeichen. Viel Bekanntes vom Potsdamer Platz ist darunter, aber es gibt auch Rätselhaftes wie eine Brosche mit DDR-Flagge und dem Kürzel M79. Obwohl ehemalige Stasi-Leute helfen, ist der Orden noch nicht identifiziert. „Die wußten auch nicht, was das bedeuten soll“, sagt die Mitarbeiterin.

Überwachungstechnik ist sorgfältig in Plastiktütchen verpackt; die Wanzen und Richtmikrophone sind zwar sorgfältig gearbeitet, entstammen aber eher „Q.s“ Trickarsenal der frühen Bond-Filme als den Zeiten der Computertechnik. Die bessere „Technik“ ist inzwischen in den Gewahrsam staatlicher Stellen gelangt, so ins DDR -Innenministerium.

Ulrich Wiegand (44), Leiter des Aufbaustabes, ist inzwischen hinzugekommen. „Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal hier lande“, sagt der ausgebildete Museologe mit Blick auf die Berge von Stasi-Ausstattung. Wiegand erzählt, daß das meiste Material noch ungeordnet sei - außerdem seien noch einige Kellerräume voll. Zwar gebe es einen Ministerratsbeschluß für die Errichtung einer Gedenkstätte, aber augenblicklich mangele es sogar an Büromaterial. Die Zukunft des „Hauses 1“ stellt sich Wiegand als einen Begegnungsort für Forschung, Dokumentation und Ausstellungen vor, ähnlich wie bei Topographie des Terrors am Martin -Gropius-Bau. Auch Originalräume des Stasi-Hauses sollen erhalten bleiben, wie die Arbeitsräume des Ministers, die sogenannte „Mielke-Suite“. Dazu würde auch die goldene Totenmaske Lenins gehören - sie mahnte bis zum Winter auf des Ministers Schreibtisch.

Das beeindruckendste bei seiner Arbeit in der Magdalenenstraße war für Wiegand die Begegnung mit ehemaligen Stasi-Offizieren, mit denen er inzwischen ständigen Kontakt hat. Sie seien frustriert und problembelastet, sagt Wiegand, und mit „menschlichem Umgang“ ließe sich vielleicht eine „Zeitbombe“ entschärfen. Zwar hätten die Offiziere unter dem alten Regime auch Kritik geübt, aber letzten Endes seien sie überzeugt gewesen, einer guten Sache zu dienen.

Eine Konfronation zwischen Tätern und Opfern, also Stasi -Leuten und betroffenen Bürgern, hat Wiegand bisher noch nicht erlebt; aber eben das könne, so sagt er, an einem solchen Ort wie dem „Haus 1“ stattfinden. Mit dem Paternoster geht es zuletzt wieder abwärts. Im „repräsentativ“ ausgelegten Foyer grüßen Karl Marx und der russische Geheimdienstspezialist Feliks Dzierzyinski in Bronze. Alles original und wie früher.

Christian Böhmer

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