piwik no script img

Der Oma-Komplex

■ Edel, doch fatal: Polizei will die Schwachen schützen

Das Alibi: Die tattrige Oma so um die 70, mit 'ner Zwiebeltüte in der Hand, auf dem Fußgängerweg, weißes Haar, erschreckbar. Die Beute: Radfahrer, jeden Alters und Geschlechts, mit und ohne Stützräder, böse, provozierend und hinterrücks. Das Feindbild steht fest, der Schlachtplan ist klar: Ab Montag rücken die Innenstadt-Polizisten aus und schreiten zur endgültigen Straßensäuberung - weg mit den Radfahrern!

Stein des Anstoßes ist der gemeine Radfahrer auf den Trottoirs, doch von den Plänen ist jeder Radler betroffen. Angst vor Autos? Lebensrettendes Ausweichen auf den Bürgersteig? Gilt nicht. Die Verlautbarung aus der Polizei-Zentrale: „Wir verfolgen jeden, der auf Gehwegen radfährt“, so Sprecher Werner Jantosch. Radfahren dort ist grundsätzlich verboten, „das lernt jedes Kind in der Schule“. Die Aktion ist notwendig, ein Zweifeln gar pfui: „Wir schützen die Schwächsten unter den Verkehrsteilnehmern, die Fußgänger.“ Die Radler seien schuld, nicht etwa Lastwagen oder Lärm, daß alte Menschen sich nicht aus dem Hause trauen.

Im Laufe des Vormittags beginnt die Schutzaktion. Uniformierte Späher werden aufgestellt: „Die Innenstadt ist wegen der Kurierfahrer Schwerpunkt. Wir postieren uns so, daß keiner entwischt.“ Registrieren sie Radler auf dem Fußweg, wird der Kollege am zentralen Knotenpunkt angefunkt. Kurze Personenbeschreibung und, zack, schon winkt der mit der Kelle den Rowdy raus. Zehn Mark Bußgeld beim Gehweg-Überroll, falschrum in die Einbahnstraße: 50 Märker. Übers Rotlicht: 40 Mark.

Gefährdung anderer durch rücksichtsloses Radeln auf den Gehwegen muß geahndet werden. Doch die Polizei-Lösung trifft nicht den Kern: „Verkehrsverstöße der Radler werden gerade in der Innenstadt durch fehlende Radwege provoziert. Radler und Fußgänger brauchen mehr Fläche, nicht die Autos“, meint Susanne Rieschick-Dziabas vom VCD. Martin Schmidt von der GAL und Rächer der Radler aus Passion frohlockt der kommenden Woche schon entgegen:„Da will ich doch gleich am Dienstag ein bißchen radfahren“, sagt Schmidt, „mal sehen, was die Polizei macht, wenn ich über den Rathausplatz radle“. Katrin Wienefeld

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen