: Der Mensch hat Dreck am Stecken
■ Schlamm, Schmeißfliege, Exkrement, Gameshow: In der Ausstellung „Parallel Economies“ im Kunstverein rechnet John Miller mit dem amerikanischen Traum ab
Es steht fest, dass es keine Schokolade ist, was hier als zähe Masse die Fabrikanlage und Gartenzwerg-idylle überzieht. Und auch den karzinogenen Müllhaufen aus zerquetschten Blechdosen, Kondompackungen und Hundeknochen hat der braune Brei zu einem undefinierbaren Relief verschmolzen. Verdächtig penetriert das misstönige Summen ordinärer Schmeißfliegen den Hörnerv.
Schon 1985 hat der New Yorker Künstler John Miller seine Begeis-terung für den eklen Farbstoff entdeckt und seither damit sein Werk markiert. Der abortige Überzug beherrscht im Wesentlichen auch die derzeit im Kunstverein gezeigte Ausstellung Parallel Economies. Millers Variationslust scheint dabei kaum Grenzen gesetzt: Ob Globus, Violine oder bizarrer Puppentempel – mit Modellierpaste und Siena-Acryl lässt sich beinahe alles in Exkrementalkunst verwandeln. Die werkimmanente Botschaft bleibt jedoch stets die gleiche: Der Mensch – so die Kurzfassung – hat nun mal Dreck am Stecken. Wo er auch geht und steht, hinterlässt er verseuchtes Land.
Diese plakative Weisheit haben wir spätestens am Eingang des Kunstvereins begriffen, wo uns eine angebräunte Miller-Skulptur empfängt. Doch waren wir eben noch schadenfrohe Zuschauer, stehen wir im nächsten Moment selbst mittendrin: als anonymer Partizi-pient einer amerikanischen TV-Gameshow. In „Today is the First Day“ und „Second Coming“ von 1998 hat Miller per Computer alle Mitspieler aus den Fernsehbildern entfernt und dann mit Airbrush auf die Leinwand übertragen. Die leeren Kulissen werden zum Imaginationsraum des Betrachters. Von tierhaften Grunzgeräuschen eines unsichtbaren Publikums beschallt, findet er sich zwischen den wohl hässlichsten Platzhaltern aller Zeiten wieder. Die drei mit braunem, grünem und rosafarbenem Teppichboden beklebten Säulen entsprechen in ihren Maßen der Kleinfamilie Miller.
Auch die Serie sechs kleinformatiger, fotorealistischer Acrylbilder mit Landschaftsmotiven der Südstaaten entlarven den amerikanischen Traum als eine Farce. Doch wird diese Doppelbödigkeit erst zusammen mit Millers zynischen Untertiteln deutlich. Dass der Besucher diese mühselig von einem Handzettel zuordnen muss, bleibt eine unverständliche Ausstellungsstrategie des Kunstvereins. Liegt Millers Subtilität doch gerade im Spannungsfeld zwischen Sprache und Visualisierung. Auf diesen unsichtbaren Raum zwischen den Werken, als eine Art Blackbox der Kunstinterpretation, verweist Miller selbst mit einer Tür ins Nichts: der „Brown Door“ von 1990.
Entscheidend ist nicht das, was wir sehen, sondern das, was wir nicht sehen. Mit räumlichen Kompositionen der Objekte zueinander schafft Miller assoziative Verknüpfungen, die den Betrachter Teil einer komplexen Geschichte werden lassen. In „Matter and Memory“ von 1995 ist ein Stuhl eben nicht nur ein Stuhl, sondern wird zum Sinnbild des menschlichen Ego. Davor, auf einem kleinen Tisch vereint, stapeln sich die Insignien der Malerei, ganz in der Manier alter Meister. Totenkopf, Pinsel und Pigmente sind hier jedoch ersetzt durch Lammfellrolle, Farbspray und Gettoblaster. Eine Elvis-Puppe verkörpert die singende Muse.
Was ist das schon, angesichts des alles überragenden Schoko-Phallus einen Sockel weiter? Und eine schlammverzierte Lupe lässt uns gleich daneben nach dem Sinn des Ganzen suchen, während ein rosa-farbener Fellpantoffel uns vor dem Gameshow-Bild „Let's Make Peace“ den wohligen Sumpf eines spießigen Heimes anbietet. Doch wer den Abstieg fürchtet, kann sich auch auf der sockelartigen „Brown Box“ von 1994 selbst erhöhen und einen Blick in den Spiegel werfen: Bei der unappetitlichen Umrahmung von „My Body Stunk But I Kept My Funk“ kann uns der Anblick unserer eigenen Reflexion gewiss nur freudig stimmen. Allein der drohend aufgerichtete Priapos hinter unserem Rücken holt uns auf den schlammigen Grund Millerscher Erkenntnis zurück. Neu ist daran freilich nichts, weiß doch schon die Bibel, dass wir aus Dreck geschaffen sind. Ulrike Bals
John Miller, „Parallel Economies“, Kunstverein, Klosterwall 23., Di - So 11 - 18 Uhr, Do 11 - 21 Uhr, bis 30. Januar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen