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Der Mangel als Marke

Kleinode der Beschränkung: Minimal Techno setzt auf funktionale, unspektakuläre Muster. Doch mit dem Abschied vom Riesen-Rave droht auch die Verkunstung von Elektronik  ■ Von Martin Pesch

Was ist das? Wo vor nicht allzu langer Zeit fluoreszierend- hyperbunte Aufdrucke auf Sweatshirts blendeten, beeindrucken jetzt die geraden Schnitte von Helmut Lang. Blättert man durch die Plattenbox, bestechen sauber gestaltete Farbflächen und wohlgesetzte Typographie. Und wer jetzt noch genau hinhört, wird keine Snarewirbel, Piepsstimmen und melodiösen Synthieflächen mehr hören, sondern elegant aus den Lautsprechern pluckernde Tracks mit zurückhaltendem Groove. Auf Nachfrage fallen Namen wie Maurizio, Studio 1 oder eben: du weißt doch, der neue Minimalismus.

Minimalismus, Minimal Art, Minimal Beats und Minimal Techno – so heißt das Gespenst, das seit einiger Zeit umgeht in Technoland. Dieses Gespenst hat so gar nichts mehr mit der Größer- schneller-weiter-Haltung zu tun, nichts mit Massenparaden und sie beschallenden Hymnen; „Let the sun shine in your heart“ – über Servicewellen ausgegebene Parole, weit entfernt von den Äußerungen der neuen Bescheidenheit, die sich in den Regalen von Technoläden und Clubwearshops zu einem Phänomen gemausert haben.

Vom Brett zur neuen Bescheidenheit

Der ökonomische Backlash und die Diffusion von Stilen und Szenen ist von Techno in einer Geste der Bescheidenheit aufgefangen worden. Was im Modebereich in der aktuellen Präferenz für klare Linien und gesetzte Farben zu beobachten ist, hat sein Pendant in der aktuellen elektronischen Musik, die auf ruhigen und unspektakulären Mustern beruht – einerseits vollkommen funktional und tanzflächenkompatibel, andererseits diese Funktionalität durch eine bestimmte Art der Konzeptualität transzendierend.

Minimalismus als Techno-Phänomen hat ökonomische, ästhetische und soziale Aspekte. Corrado Izzo vom Offenbacher Plattenvertrieb Neuton, der die Szene seit Jahren beobachtet, faßt es so zusammen: „Natürlich ist die aktuelle Minimal-Welle eine Reaktion auf überladene Arrangements, die heute nur noch mit Riesen-Raves und Ausverkauf in Verbindung gebracht werden. Dann ist bei Minimal Techno auch sehr gut zu merken, wer gut ist, weil man bei den wenigen Elementen die Nachlässigkeiten schnell mitbekommt. Und durch die hohe derzeitige musikalische Qualität kommen damit auch Leute leichter klar, die das vor zwei Jahren vielleicht noch als bloßes Brett empfunden haben.“

Wer sich einen Eindruck von der Musik verschaffen möchte, hat derzeit leichtes Spiel. Protagonisten des Genres – Jeff Mills, Mike Ink, Maurizio – haben im Lauf der der letzten Monate CDs herausgebracht, in den meisten Fällen Zusammenstellungen schon vorher erschienener Vinyl-Maxis. Daß diese Platten Kompilationen sind, weist schon darauf hin, daß Minimal Techno für die innersten Zirkel schon eine gewisse Laufzeit hinter sich hat. Blickt man noch näher hin, wird man schnell bemerken, daß die Produzenten auch schon zum alten Eisen gehören, hier quasi mit ihren Alterswerken reüssieren. Und überhaupt: Ist Techno nicht generell minimal?

Rohe B-Seiten für den Endverbraucher

Die Produktion einfachster rhythmischer Sequenzen ist in der Tat seit jeher Bestandteil von Tanzmusik. Ob die Extended versions von Disco-Hits, die B-Seiten von Ragga-Singles (die den Riddim wortlos präsentierten) oder die Bonus- Beats im HipHop: immer ging es dabei um die eigenständige Anwendung der Musik durch den Endverbraucher. Am Plattenspieler kann man die endlosen Outros zum Mixen verwenden, kann sich aus den Rhythmen neue Breakbeats schneiden oder sich auf die Rhytmusversionen den eigenen Reim machen. So absurd es klingt, Minimal Techno ist die Verwandlung der B-Seite zum Träger der musikalischen Entwicklung.

Der Detroiter Musiker Robert Hood machte 1994 mit seiner LP „Minimal Nation“ ein Statement gegen die üppigen Sounds, wie sie zu jener Zeit auf den europäischen Raves gespielt wurde, zu denen er als DJ und Technolegende gebucht wurde. Ungefähr zur selben Zeit begann die Berliner Firma Basic Channel ihre kryptisch betitelten Maxis herauszubringen. Die erste hieß „Enforcement“ und enthielt einen Mix von Jeff Mills. Hört man diese Platten, hat man alle Ingredienzien beisammen, die Minimal Techno ausmachen. Beziehungsweise: spürt man, daß deren Mangel sein Markenzeichen ist.

Andy Mellwig, der im Umfeld von Basic Channel zu produzieren begann und zu den ersten Tontechnikern im heute legendären Berliner Tonstudio Dubplates & Mastering gehörte, spricht auch davon, daß „Enforcement“ für ihn die Verbindung von Techno und der klassischen Minimal Music zeigte. Seine als Async Sense auf dem Label Imbalance veröffentliche CD sieht er deshalb als den Versuch einer Synthese aus rudimentärem Technorhythmus und den perkussiven Überlagerungen von Steve Reich an. Es ist bezeichnend, daß diese 1995 erschienene CD jetzt erst entsprechend gewürdigt wird.

Bässe in sacht fließender Lava

Mellwig bildet zudem mit Thomas Köner das Projekt Porter Ricks, von dem Anfang des Jahres die CD „Biokinetics“ erschien und die als technoide Fortsetzung 30 Jahre schlummernder Klangästhetik gilt. Hinter den Labels Imbalance, Basic Channel und Chain Reaction steht Moritz von Oswald aka Maurizio. Als letzterer hat er bisher sieben Maxis und eine CD herausgebracht. Von voluminösen Bässen getragene Kleinode der Beschränkung, hinfließende Lava, aus der exakte klangfarbliche Akzente auftauchen, schwere Grooves mit seltsam Reggae-verwandter Betonung des Off-Beats.

Noch strikter verfolgt Maurizio dies auf den Burial-Mix-Platten. Die A-Seiten werden von dem Ragga-Toaster Tikiman mitgestaltet, während die B-Seiten in klassischer Manier die Version präsentieren. Was Reggae-Vorliebe betrifft, ist Maurizio nah an den Studio-1-Produktionen des Kölners Mike Ink, der sich ja schon im Label-Titel an die jamaikanische Reggae-Brutstätte anlehnt. Die Studio-1-CD, ein Resümee aus 10 Vinyl-Maxis, ist ein undurchschaubarer Querschnitt aus Fassungen, die schon bei ihrem ersten Erscheinen zu einem konzeptgeborenen und trotzdem weich groovenden Klangteppich geworden waren.

Only a footnote in history

Was musikalisch minimal klingt, gibt sich auch sonst eher kleinlich. Die Maxis von Studio 1 sind nur durch die Farbe ihres Labelaufdrucks zu unterscheiden und enthalten keine verbalen Angaben zu Künstler oder Tracktitel. Basic Channel & Co. liefert seine Vinyl- Produkte in braunen Papphüllen und die CDs in Blechdosen aus. Das ist Zeichen eines Rückzugs auf alte Technotraditionen und trägt zur derzeitigen Attraktivität dieser Platten bei. Es ist aber auch ein durchdachter Zugriff auf eine Käuferschaft, die mit Reflexion und Konzept mehr anfangen kann als mit Party und Robotern auf Plattencovern. Das Cover der Debüt-CD „Symbolic Language“ des Berliner Musikers Pacou zeigt Sprache im technischen Zeitalter, und die graphische Gestaltung etwa der Concept-Reihe des kanadischen Minimal-Produzenten Richie Hawtin ist klassisches Informationsdesign im Sinne Otl Aichers. Die 12 jeweils monatlich 1996 erschienenen Platten unterschieden sich durch die Plazierung eines roten Punktes in einem der zwölf schwarzen Kreise auf weißem Grund. Dieses Graphikdesign und die Musik, die in ihm verpackt ist, aktivieren ein Wissen über bestimmte Avantgardeströmungen: serielle Musik, funktionales Graphikdesign, Minimal Art. Wer Studio-1- oder Concept-Platten in ihren musikalischen und designmäßigen Feinheiten goutieren und in ein Universum des gebildeten Diskurses überführen kann, muß sich mit Technopop für die Massen wie Scooter oder Dune nicht mehr abgeben.

Das heißt auch: Längst verloren geglaubtes, mit Techno entstandenes subkulturelles Kapital wird mittels einer bestimmten Auswahl von ästhetischen Merkmalen in kulturelles Kapital umgewandelt und einem Wissen über Design, Kunst und Popgeschichte angeschlossen. Techno in seiner minimalen Fassung wird zu einer Fußnote der europäischen Kulturgeschichte.

Empfehlungen: Async Sense: dito (Imbalance/Efa); Porter Ricks: „Biokinetics“ (Chain reaction/ Efa); Maurizio: dito (Maurizio/ Efa); Studio 1: dito (Studio 1/Neuton/Rough Trade); Jeff Mills: „The Other Day – Axis Compilation“ (Axis/Sony); Pacou: „Symbolic Language“ (Tresor/Efa)

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