Der Kunde als unbezahlter Mitarbeiter: "Wir sind die Schreinerei"
Die Filmproduzentin und Autorin Sigrid Faltin spricht in der "sonntaz" über ihren erhellenden Selbstversuch als Online-Konsumentin bei Ikea, dem Reisebüro und anderswo.
BERLIN taz | Die Welt der Automaten und Internetdienste ist keineswegs so bequem und zeitsparend, wie die Anbieter das den Kunden weismachen wollen. Das meint die Filmproduzentin und Autorin Sigrid Faltin.
"Wir helfen den Unternehmen beim Sparen", sagt Faltin der taz-Wochenendausgabe sonntaz. "Wir sind die Telefonzentrale, wenn wir bei einer Hotline anrufen, wir sind die Schreinerei, wenn wir die Küche von Ikea aufbauen, wir sind unsere eigenes Reisebüro, wenn wir Tickets online buchen." Das sei "richtig Arbeit" und es sei zweifelhaft, ob der Kunde tatsächlich spare, lege man den Stundenlohn zugrunde.
Als besonders krasses Beispiel für das Abwälzen von Arbeit nennt Sigrid Faltin die Online-Steuererklärung. Hier sei es sogar der Gesetzgeber, der den Steuerzahler "zwangsverpflichtet". "Es wird von mir erwartet, dass ich einen Computer habe und mir ein Steuerprogramm herunterlade, um meiner Pflicht als Staatsbürgerin nachzukommen." Dieses Programm treibe regelmäßig auch Computerfreaks in den Wahnsinn.
Das ganze Interview finden Sie am 11./12. Juni 2009 in der sonntaz. Am Kisok.
Durch das erworbene Spezialistentum, sagt sie der sonntaz, werde der Kunde zum Koproduzenten. "Wir produzieren das Produkt zu Ende. Und zahlen drauf, mit Geld, Zeit, Nerven." Faltin ermutigt die Kundinnen und Kunden, sich zu wehren. "Wir müssen die Service-Oasen, die es noch gibt, hätscheln und tätscheln, denn sonst sind sie eines Tages weg."
Sie zum Beispiel gehe grundsätzlich an keine Selbstbedienungskasse, ich meide Hotels, in denen sie nicht von einem Menschen begrüßt werde. "Und ich koche mir einen einfachen Mokka, anstatt mich mit einer Espressomaschine herumzuschlagen, die ich erst nach dem Besuch diverser Internetforen konfigurieren kann – wenn überhaupt."
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