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Der Krieg ist in Zagreb eingekehrt

Luftalarm fast ohne Pause in der kroatischen Hauptstadt/ Jugendliche rüsten sich mit Waffen aus dubiosen Quellen zu Rambos auf/ Frauengruppen machen trotz allem weiter gegen den Krieg mobil  ■ Aus Zagreb Erich Ratfelder

10.40 Uhr, 12 Uhr, 13.30 Uhr gestern mittag. Wieder heulten in Zagreb und in ganz Kroatien die Sirenen. Für kurze Zeit war sogar Radio Zagreb ausgefallen, denn die Sendeanlagen sind bevorzugte militärische Ziele. Doch bald meldet sich die Stimme mit Nachrichten wieder. Und sie kündigte eimal neun, einmal vierzig Flugzeuge an, die von ihrem Stützpunkten in Pula oder Behacs auf den Weg in die Hauptstadt, nach Sisak, nach Osijek, nach Vukovar oder Zadar sein sollen. In der Hauptstadt sind im Gegensatz zu anderen kroatischen Städten an diesem Tag noch keine Bomben gefallen. Und es ist erstaunlich, wie schnell sich die Menschen an die wiederkehrenden Rituale des Krieges gewöhnt haben. Kaum sind die Töne der Sirenen verklungen, sind die Straßen wie leergefegt, nur Militionäre patroullieren noch. Und wenn Entwarnung gegeben wird, füllen sich wieder die Cafés, wird die Zeitung aufgeschlagen, werden die notwendigen Einkäufe ohne sichtbare Hast erledigt. Der Krieg ist da, man muß mit ihm auskommen.

Trotz dieser scheinbaren Gelassenheit beherrscht die Frage, ob die Armee jetzt endgültig Ernst macht, und den Endkampf erzwingen will, die Debatte. Ist dies wieder nur einer der Versuche, uns alle einzuschüchtern? „Die Lage ist sehr Ernst geworden“, sagte Informationsminister Branko Salaj. „Sie wollen das Blutvergießen, fast alle unseren politischen Möglichkeiten sind ausgeschöpft, wir müssen kämpfen.“ War es in den letzen Tagen noch möglich, Hoffnungen auf den Verhandlungsprozeß zu setzen und es schienen manche der Alarme mehr als ein psychologisches Mittel der kroatischen Behörden, die eigene Bevölkerung auf den eigentlichen Ernstfall vorzubereiten — immerhin sind viele der Meldungen über aufsteigende Flugzeuge von Amateurfunkern verbreitet, die Radarüberwachung ist äußerst lückenhaft — sind mit den Gesprächen Tudjman-Milosevic von Donnerstag abend, die endlich Modalitäten des Waffenstillstands behandeln sollten, offensichtlich die letzten Türen zugeschlagen worden. Zumindest was die Armee betrifft. Ist Verteidigungsminister Kadijevic, der noch den Waffenstillstandsvertrag von Dienstag unterzeichnet hat, die Macht nun endgültig entglitten und haben andere Kommandeure die Befehlsgewalt übernommen? „Alles balkanische Politik, es gibt da sicherlich mehrere Szenarios. Lassen wir die Fakten sprechen. Und die sind eindeutig“, sagte der Informationsminister. In beiden Fällen zeigten die Offiziere der Armee nur, daß sie ihren eigenen Untergang mit einem Blutbad an der kroatischen Bevölkerung begleiten lassen wollen. „Die Armee ist am Ende“, meint ein Milizionär, der vor dem Parlament Wache hält und selbst noch vor Monaten in der Volksarmee gedient hat. „Die Offiziere können nicht einsehen, daß ihre Zeit abgelaufen ist.“ Eine Straßenecke weiter steht ein bunt zusammengewürfelter Haufen von bewaffneten Jugendlichen. „Auch wenn sie sagen, sie haben so viele schreckliche Waffe, uns macht das keine Angst“, erklärt trozig ein junger Student im besten Englisch. Er trägt eine Phantasie-Uniform, einige seiner Kameraden sind mit Reservistenuniformen der Nationalgarde ausgestattet, andere wieder mit derjenigen der Polizei. Viele junge Leute haben sich bewaffnet, niemand hat die Kontrolle darüber. Daß dieser Waffenbesitz gleich auch dunkle Geschäfte auf den Plan ruft, ist nicht verwunderlich: selbst in besseren Hotels werden schon mal fünf Kalaschnikow über den Tresen gereicht um damit tscheschische Schnellfeuermaschinenpistolen modernster Bauart einzutauschen. Die jungen Machos gehen damit mit stolzer Brust auf die Straße.

Wie kann in einer solchen Atmosphäre noch ein normales Leben, noch die Hoffnung auf Frieden gedeihen? Im Büro der Grünen Aktion Zagreb haben sich einige FriedensaktivistInnen versammelt. Wie anders sehen diese jungen Leute aus. Informationen über die Friedensaktivitäten aus ganz Jugoslawien werden zusammengetragen: Vor allem Frauen sind es, die nun zu protestieren beginnen.

In Pula, dem großen Flugstützpunkt der Armee an der nördlichen Küste, versuchten vorgesstern hunderte von Frauen sich auf die Rollbahnen zu werfen, um die Flugzeuge am Start zu hindern. Der Bürgermeister hatte alle Hände damit zu tun, sie zurückzuhalten, denn er war sicher, die Armee würde ein Blutbad anrichten. Im Serbien und in Bosnien versuchten Frauen die Soldaten am Vormarsch auf die Dalmatinische Küste zu hindern.

Noch vor Tagen hielten diese Friedensgruppen Abstand zu den Müttergruppen, da diese ihrer Meinung nach lediglich das Ziel hätten, ihre Söhne aus den Klauen der Jugoslawischen Armee zu befreien. In diesen Tagen aber scheint sich ein Stimmungswandel abzuzeichnen. „Solche Aktionen wie die in Pula sind wunderbar. Wir wollen, daß alle Welt weiß, daß es in allen Jugoslawischen Völkern Menschen gibt, die für den Frieden eintreten.“

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