■ NOCH 3355 TAGE BIS ZUM JAHR 2000: Der Kranich teert die Lungen
In den USA und Australien darf auf Inlandsflügen nicht geraucht werden; ebenso bei British Airways, Alitalia, Finair und bei den Fluggesellschaften Griechenlands und der Türkei. Die Deutsche Lufthansa wollte sich nicht so einfach anschließen. Sie führte zunächst einmal einen halbjährigen Test auf ausgewählten Inlandsstrecken sowie eine Umfrage unter 3.600 Passagieren durch. Erst als die Fragebögen ausgewertet waren und feststand, daß eine überwiegende Mehrheit ein Rauchverbot akzeptieren würde, erklärten auch die Lufthansa-Manager Nikotin und Teer für gesundheitsschädlich und kündigten zum 28.Oktober diesen Jahres ein Rauchverbot auf allen innerdeutschen Flügen an. Soweit so gut. Aber der Kranich bekam es mit zwei schrecklichen Feinden zu tun. Daß die mächtige Tabaklobby wütend um sich beißen würde, war klar. Die Zigarettenindustrie drohte damit, ihre Manager in Zukunft nicht mehr mit Lufthansa fliegen zu lassen. Auch Tabak sollte nicht mehr in Lufthansa-Maschinen geladen werden. Doch dann wurde im letzten Sommer der Vorsitzende des Verbandes der Zigarettenindustrie und Geschäftsführer der Münchner Zigarettenfirma Philip Morris, Günther Wille, auch noch in den Vorstand des Springer-Verlags berufen. Sofort fing die 'Bild‘-Zeitung an aus allen Rohren auf die geplanten rauchfreien Flugmaschinen zu ballern. Die Lufthansa wehrte sich nicht. Der Kranich kniff den Schwanz ein. Die Umfrageergebnisse waren vergessen, ebenso die Gesundheit der nichtrauchenden Passagiere. Statt dessen gab's lauwarme Begründungen für den ängstlichen und feigen Rückzug. Die öffentliche Reaktion auf die Absicht, das Rauchen zu verbieten, sei „extrem geteilt“, hieß es nun. „Aus dieser Entwicklung droht die Gefahr, daß eine in guter Absicht getroffene Entscheidung zu einer Polarisierung und Konfrontation unter den Fluggästen führen könnte. Dies kann das Unternehmen weder seinen Passagieren noch dem Bordpersonal zumuten.“ Die Fluglinie erwartete anscheinend Massenschlägereien zwischen potentiellen Lungenkrebspatienten und solchen, die es auf keinen Fall werden wollen. Gerüchte, wonach die Lufthansa demnächst den Kranich von ihren Heckflossen kratzen wird und statt dessen das neue Firmenemblem, einen Krebs, anbringen will, wurden noch nicht bestätigt. Aber der neue Werbeslogan, „Lufthansa — Wir teeren auch auf kurzen Strecken kostenlos ihre Lunge“, soll im Management schon auf breite Zustimmung gestoßen sein. Karl Wegmann
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