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Der Justizsenator trägt die politische Verantwortung -betr.: Durchsuchungen, Pressekonferenz Janknecht/Scherf, Debattenbeitrag von Bern Asbrock v. 24.8.96

Betr.: Durchsuchungen, Pressekonferenz Janknecht/Scherf, Debattenbeitrag von Bernd Asbrock v. 24.8.

Sowohl die Äußerungen von Henning Scherf, er habe der Dritten Gewalt nicht hineinzureden, die Durchsuchungsaktion sei richterlich abgesegnet gewesen, als auch die Äußerungen von Bernd Asbrock, man müsse prüfen, ob die Staatsanwaltschaft von politischen Einflüssen unabhängiger werden könnte, geben Anlaß zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen:

Nach der Strafprozeßordnung ist die Staatsanwaltschaft die Herrin des Ermittlungsverfahrens. Wird ihr eine mögliche Straftat bekannt, ist sie gesetzlich verpflichtet, die Ermittlungen aufzunehmen (oder von der Polizei unter ihrer Aufsicht durchführen zu lassen). Dabei kann sie z.B. Zeugen vernehmen oder auch – je nach Sachlage – in Grundrechte eingreifen. Entschließt sie sich dazu, bedarf es in besonderen Fällen einer richterlichen Überprüfung und Zustimmung, für die Untersuchungsrichter zuständig sind. Solche schweren Eingriffe sind z.B. Untersuchungshaft und Post- bzw. Telefonüberwachung, aber auch Hausdurchsuchungen.

Das Sytstem ist darauf angelegt, daß die Staatsanwaltschaft eigenständig und unabhängig von gerichtlichen Entscheidungen prüft, ob sie derart schwere Grundrechtseingriffe vornehmen muß und will. Ist sie dieser Auffassung, entscheidet der Untersuchungsrichter nur noch, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des Eingriffs gegeben sind oder nicht; ob ein Eingriff zweckmäßig ist oder nicht, ist nicht seine Sache.

„Dritte Gewalt“ ist nur der Untersuchungsrichter. Seine Entscheidung fällt in richterlicher Unabhängigkeit, der Justizsenator darf in sie amtlich nicht eingreifen. Anders sieht es bei der Staatsanwaltschaft aus. Sie ist eine weisungsgebundene Behörde. Ihre rechtlichen Wertungen und Zweckmäßigkeitserwägungen unterliegen der politischen Kontrolle und fachlichen Weisungen des Justizsenators. Vor unberechtigten Eingriffen sind die Bürger durch die richterlichen Entscheidungen geschützt.

Das heißt, daß der Justizsenator die politische Verantwortung dafür trägt, ob sich die Staatsanwaltschaft überhaupt um einen Durchsuchungsbeschluß bemüht. Weder er noch die Staatsanwaltschaft können diese Entscheidung auf unabhängige Richter übertragen. Wäre die andere Ansicht richtig, hätte z.B. die SPD im Bundestag bei der Debatte über die „Spiegel-Affäre“ die Durchsuchung der Räume des „Spiegel“ nicht kritisieren dürfen. Damals wurde von den Sozialdemokraten die andere Ansicht aber zu Recht abgelehnt (das Protokoll der Debatte ist wirklich interessant). Natürlich ist der jetzige Vorgang in keiner Weise mit der „Spiegel-Affäre“ vergleichbar. Da Henning Scherf nichts von der Durchsuchung gewußt hat, kann ihm nicht vorgeworfen werden, ein Strafverfahren zur Verfolgung politischer Gegner zu mißbrauchen. Außerdem wird nicht gegen Journalisten ermittelt. Andererseits ist es wegen der besonderen personellen Konstellationen in dieser Angelegenheit ganz gut, daß der Justizsenator keine persönlichen Entscheidungen gefällt hat. Aber eine Äußerung auf politischer Ebene zu den Vorgängen ist legitim und angebracht.

Es fragt sich, ob an diesem Rechtszustand, daß nämlich die Staatsanwaltschaft politischer Kontrolle unterliegt, etwas geändert werden sollte. Ein Blick auf Italien scheint dies wünschenswert zu machen. Dort liegt die Untersuchung von Straftaten (ähnlich wie in Frankreich) bei Untersuchungsrichtern, die praktisch Staatsanwälte mit richterlicher Unabhängigkeit sind. Sie dürfen als Richter auch schwere Grundrechtseingriffe – bis zur Untersuchungshaft – ohne staatsanwaltschaftlichen Antrag anordnen. Der Vorteil ist, daß sie oft entgegen politischer Interessen z.B. Korruptionsuntersuchungen durchführen können. Die Aktion „saubere Hände“ der Mailänder Justiz ist ein gutes Beispiel dafür.

Aber die Nachteile liegen auf der Hand: Hat sich ein Untersuchungsrichter – aus welchen Gründen auch immer – erst einmal in eine Verfolgung verbissen, ist er nur schwer zu stoppen. Außerdem entsteht durch dieses System eine Art bürokratische Überinstanz, die sich politischer und damit demokratischer Kontrolle entzieht. Es ist aber für die politische Kultur nicht gut, einen Apparat entstehen zu lassen, der sich seine Ermittlungs- und Bestrafungsobjekte praktisch selber verschafft, ohne dabei demokratisch kontrolliert zu werden.

Gegen die willkürliche Unterdrückung von Strafverfolgungen reicht es aus, wenn die Staatsanwaltschaft – wie jetzt – grundsätzlich verpflichtet ist, alle Straftaten zu verfolgen. Daran muß sich in der Diskussion auch der jeweils politisch verantwortliche Senator messen lassen. Die Beurteilungsspielräume der Strafverfolgungsbehörden sollten aber Gegenstand demokratischer Diskussion und Entscheidung bleiben. Das gilt auch für die Frage, ob schwere Grundrechts-Eingriffe bei der unabhängigen Justiz beantragt werden sollen. Unabhängige Richter sollten wie bisher solche Grundrechtseingriffe daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Dr. Bertram Zwanziger,

Arbeitsrichter, Mitglied im SPD-Ortsvereinsvorstand Steintor/SPD-Landesdelegierter

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