piwik no script img

Der „Ja, aber„-Senator zog gestern Bilanz

■ Verkehrssenator Wagner (SPD) will an der Verkehrspolitik des rot-grünen Bündnisses festhalten - aber dennoch weitere Straßen bauen

Die Worte sind willig - aber Beton ist einfach stärker. Er sei „gewillt“, den neuen Kurs in der Verkehrspolitik fortzusetzen, versicherte Verkehrssenator Wagner (SPD) auf seiner gestrigen Jahrespressekonferenz, forderte ganz nebenbei aber auch den Bau neuer „leistungsfähiger“ Straßen. Zwischen dem Ende der Stadtautobahn in Neukölln und den Treptower Ausfallstraßen Richtung Südosten sei eine „leistungsfähige Straßenverbindung“ einfach nötig, erklärte der Senator. Auch für den Nord-Süd-Verkehr im zentralen Bereich verlangte der Senator eine „leistungsfähige“ Straße. „Jede Lösung“ sei „denkbar“, sagte Wagner auf die Frage, ob auch ein Tunnel unter dem Tiergarten in Frage komme. Schreyers Vorschlag, die Entlastungsstraße aufzugeben und den Durchgangsverkehr aus dem zentralen Bereich zu verbannen, sei jedenfalls „keine Lösung“. Autobahnpläne wies Wagner von sich, weigerte sich aber auch, seine Vorstellungen näher zu erläutern.

Ohne Scheu vor dem inneren Widerspruch versicherte Wagner, eine „Begrenzung“ des privaten Autoverkehrs sei angesichts der offenen Grenzen wichtiger denn je. Das mehrfach angekündigte Parkraumkonzept - in den Augen von Experten eine echte Chance, die Autolawine zu bremsen - will er trotzdem erst Ende dieses Jahres vorlegen. Nachdem er in letzter Zeit von allen Seiten die Kritik einstecken mußte, der Kurswechsel in der Verkehrspolitik gehe nicht rasch genug voran, lobte sich der Verkehrssenator gestern einfach selbst: „Erste Erfolge“ seiner neuen Politik seien sichtbar, verkündete der Senator und attestierte sich selbst ein „mutiges Angehen“ der rot-grünen Vorhaben. Wagner erinnerte an den Verkaufserfolg der Umweltkarte und die steigenden Passagierzahlen bei der BVG; das Busspurnetz wachse bis Ostern auf 39 Kilometer an, und das Tempolimit auf der Avus werde von den AutofahrerInnen in vorbildlicher Weise akzeptiert.

Gleichzeitig räumte Wagner „Rückschläge“ ein. Die Buslinien, die ab April im Zehn-Minuten-Takt bedient werden sollten, müßten bis Oktober noch beim alten Rhythmus bleiben, weil es angesichts der offenen Grenzen zu wenig Fahrzeuge und FahrerInnen gebe. Ein Einlenken deutete der Senator im Streit um den S-Bahnausbau nach Lichterfelde-Süd an. Hier soll nun doch bereits 1990 Baubeginn sein. Den Eröffnungstermin ließ Wagner jedoch offen. Der Senat müsse entscheiden, ob der Lichterfelder Strecke oder dem Nordring der Vorrang gebühre, erklärte Wagner.

Am Abriß der M-Bahn, deren Kosten der Senator auf zehn bis zwölf Millionen Mark bezifferte, will er nicht rütteln. Eine Machbarkeitsstudie soll jetzt klären, ob das Bähnchen woanders in der Stadt aufgestellt werden könnte.

Ein Eisenbahnkonzept konnte Wagner weiterhin nicht vorweisen. Ein neuer Fernbahnhof für den Nord-Süd-Verkehr am Lehrter Stadtbahnhof und ein Bahntunnel unter dem Tiergarten sei eine „denkbare Lösung“, deren „Durchführbarkeit“ die Verkehrsverwaltung bis Ende des Jahres prüfen soll. Die „höchste Priorität“ habe aber die geplante Schnellbahn zwischen Hannover und Berlin. Der Bonner Verkehrsminister Zimmermann sei sich mit dem West-Berliner Senat mittlerweile einig, daß die Strecke London-Paris-Berlin-Moskau als die Eisenbahnmagistrale für das „europäische Haus“ ausgebaut werden müsse; es sei aber „so nicht akzeptierbar“, wenn in Zimmermanns Ministerium eine Inbetriebnahme erst für das Jahr 1998 angepeilt werde.

Vorsichtig blieb der Senator auch mit seinen Aussagen zu dem geplanten Großflughafen südlich der Stadt. Vorerst sei ein derartiges Projekt lediglich „denkbar“ und noch nicht „abgeschlossene“ Sache, weil die DDR zur Zeit noch keine Planungsgrundlage liefern könne.

hmt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen