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Der Heilige

Der Saxophon-Spirituelle Pharoah Sanders auf dem Weg zu den Sternen  ■ Von Christian Buß

Pharoah Sanders kann sich nicht erinnern. Zum Beispiel vermag er kaum etwas darüber zu sagen, wie die Aufnahmen zu seinem letzten Album Save Our Children zustande gekommen sind. Immerhin wirkte bei diesem großangelegten World-Music-Happening ein knappes Dutzend Musiker aus allen Teilen der Welt mit. „Um Studioangelegenheiten kümmere ich mich nicht mehr“, sagt er und streicht entrückt durch seinen brustlangen Ziegenbart. „Mein Produzent Bill Laswell hat die Leute ausgesucht und zu mir geführt.“ Und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Terry Callier, für dessen Comeback-Werk Sanders letztes Jahr ein sehr schönes Solo einspielte? „Terry Who? Ich habe noch nie von diesem Man gehört!“

Nein, das Memorieren ist seine Sache nicht. Obwohl er andererseits einige Gegebenheiten aus grauer Jazz-Vorzeit noch ganz genau zu beschreiben weiß. Etwa wie es 1969 zu dem spirituellen Chant „The Creator Has A Masterplan“ gekommen ist. „Ich war zusammen mit Leon Thomas im Studio und habe ihm genaue Anweisungen gegeben, welche Worte er benutzen soll“, erklärt Sanders auf einmal ganz wach. Ist ja auch ein heikles Thema, denn seit Jahren streitet er sich mit Thomas darüber, wer denn nun der eigentliche Creator dieser epochalen Hymne an den Creator gewesen sei. Der Sänger mit dem charismatischen Jodeln hat in dieser Auseinandersetzung die schlechteren Karten, denn er muss sich mit Auftritten in Kaschemmen über die Runden bringen, während Sanders es inzwischen versteht, sich in den oft unanständigen Kapitalfluss des Jazzbetriebs einzuklinken.

Der 59-Jährige legt dann Shows hin, die Lieschen Müllers Vorstellung eines spirituell Erleuchteten entsprechen. Während seines Auftritts beim letzten Jazzfestival hüpfte Sanders zwar ab und an von einem Bein aufs andere, aber sein Saxophon blies er nur sporadisch. Nach 55 Minuten schaute er auf die Uhr, ließ seine Musiker fünf weitere Minuten spielen, um sich dann pünktlich zur Vertragserfüllung mit einem Gongschlag zu verabschieden.

Um nicht missverstanden zu werden: Pharoah Sanders sei der späte Erfolg gegönnt. Schließlich ist er einer der letzten großen Überlebenden des Fachs: Sun Ra, Albert Ayler, Don Cherry und natürlich John Coltrane – mit allen Heiligen hat er zusammengearbeitet. Nach seiner Ausbildung in Oakland, Kalifornien kam er Anfang der Sechziger nach New York und machte die Bekanntschaft mit den wichtigen Figuren der Avantgarde. 1964 erschien Pharoahs First, ein atonales Freakout unter dem Einfluss von Ayler. Später atomisierte er in den legendären letzten Ensembles Coltranes das harmonische Gerüst. Am stärksten aber verbindet man seinen Namen mit den Arbeiten ab 1969, die bei Impulse! erschienen sind. Karma, Thembi und Black Unity sind ins Monströse ragende Statements zu den Themen Sternenkolonien und Black Community.

In der zweiten Hälfte der Siebziger schlug sich Sanders wie viele seiner Kollegen mit belämmertem Disco-Boogie durch, später ging er auf Worldmusic-Exkursionen. Die Bärte wurden länger, die Hüte seltsamer, aber die Kasse blieb leer. Die Acid-Jazz-Hausse zu Beginn des Jahrzehnts, in deren Zuge sich Stars wie Galliano auf seine Musik beriefen, bescherten ein kleines kommerzielles Comeback. Und seitdem Sanders beim Traditionslabel Verve unter Vertrag steht, ist er finanziell wieder ganz vorne. Künstlerisch überzeugt er indes nicht immer: Während Message From House noch durch die Produktion des alles überschauenden Bill Laswell als spiritueller Jazz mit den Mitteln der Elektronik funktioniert, kommt das aktuelle Album Save Our Children als Ethno-Edelkitsch daher. Auch hier koordinierte Laswell die Aufnahmen.

Vielleicht interessieren Pharoah Sanders irdische Dinge wie Plattenaufnahmen gar nicht mehr. Vieleicht ist er schon längst dort angekommen, wo er seine Gedanken schon immer geparkt hat: auf den Sternen.

So, 24. Oktober, 21 Uhr, Fabrik

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