: Der Hauptmann und der Oberst
■ Ohne den „Meister des Sports“ Igor Larionov gewinnt das sowjetische Eishockeyteam punktverlustfrei den 'Iswestija'-Cup
Berlin (taz) - Als die sowjetischen Eishockeystars in dieser Woche in Moskau über das Eis schlidderten, um sich mal wieder den alljährlich zur Weihnachtszeit ausgespielten Cup der Zeitung 'Iswestija‘ zu holen, fehlte ein altbekanntes Gesicht: das von Igor Larionov, dem viermaligen Weltmeister, zweimaligen Olympiasieger, „Meister des Sports“ der Internationalen Klasse und Hauptmann der Roten Armee. Ein Beinbruch hatte den 28jährigen Stürmer außer Gefecht gesetzt, doch auch ohne die Verletzung wäre sein Einsatz mehr als fraglich gewesen.
In der Wochenzeitschrift 'Ogonjok‘, zu deutsch: „Feuerchen“, hatte Larionov nämlich selbiges unter dem Hintern des Nationaltrainers Viktor Tichonov angefacht. „Ihr Trainerstil versagt jetzt genauso wie das gesamte administrative System dieses Landes“, lautete sein vernichtendes Urteil, und er zählte in seinem „Offenen Brief“ ein ganzes Sündenregister des Viktor Tichonov, seinerseits Oberst der Roten Armee, auf. Spieler wie Tretjak, Babinov, Schluktov hätten wegen ihm das Team verlassen, das Jungtalent Mogilnij sei von ihm eingeschüchtert worden, weil er sich weigerte, Offizier der Sowjetarmee zu werden, Tichonov habe die Spieler zu Soldaten gemacht: „Sie erzeugen ständig Druck und Angst, fördern die Denunziation. Sie schreien die Spieler an, erniedrigen sie vor den anderen. Sie halten nur viel von ihrer eigenen Ehre, die der anderen schätzen sie gering.“
Auch das brutale Trainingsprogramm von Tichonov, der nicht nur Nationaltrainer, sondern auch Coach des sowjetischen Paradeclubs ZSKA Moskau ist, wurde heftig kritisiert. Akribisch schildert Larionov den Ablauf der spielfreien Tage: „Von zehn bis zwölf stemmen wir im Kraftraum etwa 24 Tonnen Eisen. Danach folgen Übungsspiele und ab 17 Uhr Langlauf über 18 Kilometer.“ Das Familienleben finde nur per Telefon statt: „Zehn Monate im Jahr sind wir nicht zu Hause. Man wundert sich schon darüber, wie unsere Frauen Kinder bekommen, denn die normalen Beziehungen eines Spielers zu seiner Frau gehören nicht zu Ihrem Programm.“
Den geschmähten Tichonov ließen die Vorwürfe nach außen hin kalt: „Mit den Spielern muß man so hart umgehen, sonst ist die Leistungsklasse nicht zu halten“, konterte der grimme Oberst knapp. Seine Tage scheinen dennoch gezählt zu sein. Zwar siegte das Sowjet-Team beim 'Iswestija'-Turnier, an dem außer den Gastgebern noch die Schweden, Finnland, die CSSR und das kanadische Olympiateam teilnahmen, auch ohne Larionov souverän mit 8:0 Punkten vor Schweden (6:2), doch ein ähnlicher Mißerfolg wie 1987 - als sensationell Schweden Weltmeister wurde - bei der WM 1989 könnte bereits das Ende seiner Trainerkarriere bedeuten, und Larionovs Worte bestätigen: „Es ist Zeit, daß auch wir Sportler nach neuen Ufern aufbrechen.“
Matti
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