: Der Greis und seine Pappeln Von Ralf Sotscheck
Lord Denning hat einen ausgesprochenen Gerechtigkeitssinn. Zumindest, wenn es um seine Pappeln geht. Die hat er vor 30 Jahren am Rand seines riesigen Grundstücks im südenglischen Whitchurch selbst gepflanzt, und jetzt will man ihm ein Stück seines Gartens für einen Parkplatz abknapsen. „Das Grundstück war in furchtbarem Zustand, als ich es gekauft habe“, sagt der 97jährige. „Ich habe es zum schönsten Garten Englands gemacht.“ Gegen den Zwangsverkauf will er gerichtlich vorgehen. Er kennt sich aus: Vor seiner Pensionierung war er einer der höchsten Richter Großbritanniens. „Ich verlasse mich auf das alte englische Rechtsprinzip: My home is my castle“, sagt er.
Von Menschen hält der baumschützende Greis dagegen weitaus weniger als von seinen Pappeln. Über den englischen EU-Kommissar Leon Brittan sagte er: „Ich glaube, man wird bald merken, daß er ein deutscher Jude ist, der uns vorschreiben will, was wir mit unseren englischen Gesetzen machen sollen.“ Das weiß Denning besser – die Birmingham Six können ein Lied davon singen. Die sechs Iren, die 17 Jahre unschuldig hinter Gittern saßen, weil die Polizei ihnen einen Bombenanschlag in die Schuhe geschoben hatte, wollten 1977 gegen die Polizisten klagen. Denning lehnte die Eröffnung des Verfahrens gegen die prügelnden Polizisten ab: Sollten die sechs unterliegen, wäre ein Haufen Geld verschwendet, argumentierte er. Sollten sie jedoch gewinnen, dann wären die Beamten des Meineids, der Gewalt und Erpressung schuldig. Das sei „eine so entsetzliche Vorstellung, daß kein vernünftiger Mensch diesen Prozeß zulassen“ könnte. Der Richter hatte seine eigene Lösung: Er wollte die Birmingham Six noch kurz vor ihrer Entlassung 1991 hängen lassen. Die Bevölkerung wäre damit zufrieden, meinte er, und die rufschädigende Kampagne für die Rehabilitierung würde ein Ende haben.
Die sechs Iren warten noch heute auf eine Entschädigung. Ein medizinisches Gutachten hat vergangene Woche ergeben, daß das Trauma, das sie im Gefängnis erlitten haben, mit einer unheilbaren Hirnschädigung nach einem Autounfall vergleichbar sei. Die britische Regierung hat ihnen jetzt ein läppisches Angebot gemacht, das auf dem Einkommen basiert, das sie in Freiheit erzielt hätten. Die Birmingham Six werden dagegen klagen.
Denning hatte einmal darauf hingewiesen, daß die sechs Männer 17 Jahre lang auf Staatskosten bei freier Kost und Logis gelebt hätten. Der abscheuliche Alte steht mit seiner Meinung nicht allein. „Es ist unerhört“, beschwerte sich der Tory-Abgeordnete John Carlisle vorige Woche, „daß sie mehr Geld vom Steuerzahler verlangen – ja, daß sie überhaupt Geld verlangen.“ Kollege Terry Dicks, dem in seiner Parlamentskarriere noch niemals ein eigener Gedanke gekommen ist, pflichtete ihm bei: „Sie haben keinen einzigen Penny verdient.“ Das findet auch Dame Jill Knight, ebenso dämlich wie adlig und deshalb Tory-Abgeordnete für Birmingham: „Sie sind äußerst fair behandelt worden, und nun wollen sie die britische Nation zum Gespött der Welt machen.“ Nicht nötig, Dame Jill. Dafür sorgen Leute wie Denning schon selbst. Möge ihm dieselbe englische Fairness zuteil werden wie den Birmingham Six. Möge ein Blitz die Pappeln fällen. Oder ihn.
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