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Der Gipfel liegt nicht mehr in den Sternen

■ Der sowjetische Außenminister soll Brief von Gorbatschow für Reagan übergeben / Genscher wertet den Vorgang als hoffnungsvolles Zeichen für ein Abrüstungsabkommen / Shultz erklärte, in Moskau seien auch bei den Interkontinentalraketen Fortschritte erzielt worden

Berlin (afp/taz) - Der sowjetische Außenminister wird am Freitag nach Washington reisen, um dort Präsident Reagan einen Brief Gorbatschows zu übergeben und letzte Gespräche über ein Gipfeltreffen und über das Abkommen zum Abbau der Mittelstreckenraketen zu führen. Nach dem diplomatischen Hick–Hack der letzten Tage ist offensichtlich wieder Bewegung in die Verhandlungen zwischen den beiden Supermächten gekommen. Wie in Washington durchsickerte, schätzt der amerikanische Außenminister die jetzige Lage als vielversprechend für den Abschluß eines Vertrages über die Abschaffung der Mittelstreckenraketen ein. Schewardnadse wird direkt von einem Außenministertreffen der Warschauer Pakt–Staaten in Prag am Freitag nach Washington fliegen. Die neue Entwicklung deutet möglicherweise auch eine Wende im Tauziehen um einen neuen Gipfel an. Schewardnadse und sein amerikanischer Amtskollege Shultz hatten vorige Woche in Moskau die letzten Hindernisse für ein Abkommen über den Abbau der Mittelstreckenraketen weggeräumt. Entgegen amerikanischen Erwartungen hatte Gorbatschow jedoch erklärt, er sei nicht bereit, einen Termin für einen Gipfel mit Reagan im Herbst dieses Jahres festzulegen. Gorbatschow machte deutlich, daß die Sowjetunion Fortschritte bei den Verhandlungen über die strategischen Waffen nur im Falle eines Einlenkens der USA beim SDI–Projekt sehen würden. Inzwischen aber erklärte Shultz in einem Gespräch mit Senatoren, daß auch bei den strategischen Interkontinentalraketen Fortschritte erzielt worden seien. Er sehe sich in seiner Einschätzung bestätigt, daß beide Großmächte „ernsthaft auf ein Abkommen über die Halbierung der strategischen Nuklearwaffen hinarbeiten“ würden, erklärte Bundesaußenminister Genscher am Rande eines Treffens der deutschen Afrika–Botschafter in Dakar (Senegal). In einem Brief habe die Bundesregierung am Montag gegenüber Shultz und durch den deutschen Botschafter in Moskau auch gegenüber Shewardnadse die Hoffnung geäußert, daß auf der in Moskau erreichten Annäherung aufgebaut werden könne. Jetzt müsse alles daran gesetzt werden, die beabsichtigten Gip feltreffen in Washington und Moskau zu realisieren. Derweil hat Gorbatschow der sogenannten Gruppe der Sechs, die sich um die Einstellung aller Atomversuche bemüht, vorgeschlagen, künftig gemeinsam mit der UdSSR auf ein Abkommen zum Verbot atomarer Tests hinzuarbeiten. In einem am Mittwoch in Moskau veröffentlichten Brief schlägt der Generalsekretär der KPdSU den Regierungschefs Griechenlands, Indiens, Argentiniens, Mexikos, Tansanias und Schwedens vor, vor allem im Bereich der technischen Verifikation zusammenzuarbeiten.

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