: Der Geruch von Gabriela
Ein Tennisstar verstrahlt den Alexanderplatz: Tuberose und Jasminwurz überdufteten die als Tennis-Förderung getarnte Automobil- und Parfüm-Verkaufsschau ■ P R E S S - S C H L A G
Berlin Alexanderplatz. Es liegt was in der Luft. Neugierige Passanten nehmen schnuppernd die Witterung auf. Ihre Nase leitet sie zu einer blumenumrankten Bühne. Auf rollbaren Gerüsten stapeln sich Lautsprecher und Fernsehkameras. Fotografen erdrängeln sich die besten Plätze.
Rolling-Stones-Performance in Ost-Berlin? Unmöglich, die riechen anders. Rätselraten. Dann wird ein überdimensionaler Flakon angekarrt - Gabriela Sabatini-Parfum. Die zahlreich zugegenen Journalisten aus Ost und West wittern nervös die Nähe der fünftbesten und zweithübschesten Tennisspielerin der Welt. Auch die Ostberliner sind aufgeregt. Ein bißchen wegen der Tennisgöttin. Vor allem aber wegen der um die Bühne plazierten funkelnagelneuen Automobile, mit Hostessen nett garniert. Mit Kennermine werden Fachgespräche geführt, etwa ob die elektronische Fensterhebeanlage auch zuverlässig sei und die Klimaanlage makellos. Ein Foto aus dem Prospekt des „jung-dynamischen“ Herstellers zeigt, wieviel Frischgemüse und Obst in das Combi-Modell paßt. Die Zielgruppe ist begeistert.
Nebenbei erfährt man den offiziellen Vorwand der Verkaufsschau. Die Jung-Dynamischen, Sponsoren von Parfum -Gabi, wollen den DDR-Tennisnachwuchs fördern und spendieren ein paar Kleinfeldanlagen, Bälle und Jugendschläger. Tatsächlich, zwischen den Wagen sind mit Kreide aufgemalte Felder, in deren Mitte kleine Netze gespannt sind. Einige Kinder spielen hin und her. Aber das ist nicht so wichtig.
Denn die Spannung steigt. Eine argentinische Folklore-Band beschallt bereits denn Platz. Aber wo bleibt Gabi? Fünfzig Meter neben der Bühne steht ein kleines Zeltgemach. Zwei sportliche Muskel-Gorillas verwehren den Eintritt, wie Eunuchen, die im Scheichzelt die geklaute Prinzessin bewachen. Auch erhärtet der intensive Geruch den Verdacht, Gabi sei im Zelt.
Aber noch ziert sich die Prinzessin. Mehr und mehr Ostberliner suchen ihr Glück auf dem benachtbarten Schwarzmarkt.Die Reihen vor der Bühne lichten sich spürbar. Aber der Veranstalter überläßt nichts dem Zufall: Eine Prozession von Menschen, allesamt mit Firmenstickern versehen, prominiert zur Bühne: Teilnehmer des SEAT -Kongresses (um endlich mal die Marke zu nennen). Die lernen nämlich gerade Autoverkaufen.
Da bewegt sich der Zeltvorhang. Einige Gestalten huschen heraus. Sekunden später sind sie in einem Menschenpulk verschwunden. Ein wildes Durcheinander bricht aus. Kein Zweifel, die Sabatini ist gekommen. Es riecht süßlich. Doch statt der Argentinierin schlüpft dreißig Sekunden später ein Mädchen mit leerem Korb und Entsetzen in den Augen aus der Menge: eine 12jährige Hostess, die Parfümproben verteilen soll. Ein Duftfeder hängen an ihrem Kostüm, was ihr ein gerupftes Outfit verleiht. Abgenagt wurde sie, wie ein Finger im Pirhanhabassin. „Die große Flasche mußte ich ganz doll festhalten“, berichtet das Opfer des Ablenkungsmanövers.
Denn abseits des Tumults betrat währenddessen die Prinzessin unbehelligt die Bühne. Das Klicken der Fotoapparate übertönte die Musik. Gabriela, ihr kleiner Trainer, Vater Sabatini und Gabis Bruder lächelten ihr Hacienda-Lächeln.
Funktionäre des DDR-Tennisverbandes bedankten sich artig wie namentlich bei Sponsoren. Noch eine Flamenco-Darbietung, die Vater Sabatini zu heftigem Absatzaufstampfen animierte, dann Gabis Einsatz. Bodyguards bringen sie zum Klein-Court, wo sie den Kiddies werbewirksam Bälle zuspielte. Brav beantwortete sie die Fragen des aufgeregten DDR-Fernseh -Moderators, ob Tennis denn ihr Leben sei („Aber ja“), ob es in der DDR sinnvoll sei („Aber ja“), ob sie beim Turnier kämpfen wolle („Aber ja“) und ob ihr schuhverkaufender deutscher Freund sie vom Siegen ablenke („Aber nein“). So prophezeiten die DDR-Funktionäre, angeregt durch den in Ost -Berlin seltenen Blumenduft und Gabis braver Antworten, überglücklich den Beginn des DDR-Tennis-Frühling.
Wahrlich, sie ist ein Vollprofi, die gestern 20 Jahre alt gewordene Gabriela. Nur manchmal, als sie sich für Momente unbeobachtet fühlte, war er wieder da: der berüchtigten Sabatini-Fluntsch.
miß
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