: Der Geist von Patrick Swayze
„Dirty Dancing“ feiert in Hamburgs Neuer Flora Europapremiere: Wo Roman Polanskis Vampire hinter hoch gesteckten Erwartungen zurückblieben, soll nun die Bühnenfassung des 80er-Jahre-Überraschungskassenschlagers den Musicalstandort stärken
„Am Ende hielt es niemanden auf den Sitzen“, das ist so ein Satz, wie Sie ihn heute andernorts über das neue Musical-Highlight lesen oder hören dürften. Denn es gab am Samstagabend in der Hamburger „Neuen Flora“ natürlich auch Solche, die nicht vor Begeisterung aufsprangen, als an der Saaldecke die Discokugeln zum Einsatz kamen und auf der Bühne alle Ränkespiele aufgeknotet, alle Gegensätze vorerst überwunden waren. Nachdem der frisch aus dem Nichts zurückgekehrte, düstere Held seine Geliebte, die frisch entjungferte Normalotochter, auf die Tanzfläche entführt hatte, mit „Mein Baby gehört zu mir“ einen dieser Sätze auf den Lippen.
Einen dieser Sätze, die es 1987 in Emile Ardolinos Spielfilm „Dirty Dancing“ zu dem gebracht haben, was man wohl „unsterbliche Zeilen“ nennt. Am Samstagabend erkannte so auch der nicht sonderlich mit dem Mambo-Drama Vertraute, wenn eine solche Zeile erreicht war: Dann nämlich johlte es unter den knapp 2.000 im Saal und klatschte und pfiff begeistert.
An anderer Stelle hat der Essayist und – gelegentliche – taz-Autor Christian Kortmann mit einigem Recht hingewiesen auf die ungeschriebene Übereinkunft zwischen den Machern eines Musicals und dessen Publikum: dass nämlich „ein Spektakel, für das man bis zu 85 Euro Eintritt bezahlt hat, nicht schlecht sein kann“. Nun hatten die Besucher am Samstagabend zum größten Teil aber gar nicht dafür zu zahlen, um dabei zu sein, als mit „Dirty Dancing“ die neue große Hoffnung des Hamburger Musicalveranstalters Stage Holding debütierte. Während gestern zur eigentlichen Europa-Premiere der ganz große Promizirkus erwartet wurde – darunter Michael Stich und Claudia Effenberg, Marie-Luise Marjan und Jörg Pilawa –, waren am Vorabend vor allem Produktionsbeteiligte, die nahe und entfertere Verwandtschaft von cast und crew sowie Medienvertreter zusammengekommen.
Gut 290.000 Karten sind aber den Veranstalter zufolge auch bereits von zahlenden Gästen in Nah und Fern vorbestellt worden, in der besten Kategorie übrigens für deutlich mehr als 85 Euro. Bei ebay steigen derweil die Summen, die investieren muss, wer eine der bereits ausverkauften Vorstellungen doch noch besuchen will.
Mit dem einigermaßen angejahrten Genre „Musical“ selbst lässt sich das kaum erklären, eher schon mit dem Stoff, der hier auf eine dreh-, heb- und senkbare Bühne gebracht wurde. Rund neun Millionen Bundesbürger haben den Film im Kino gesehen, die 2001 erschienene DVD-Fassung geht angeblich 300.000 Mal im Jahr über Ladentresen und durch Versand-Warenkörbe. Nicht zu vergessen: die anhaltend beliebte Filmmusik, eine clevere Mischung aus konsensfähigen Evergreens – im Sommer 1963 spielt ja „Dirty Dancing“ – und Mitt-80er-Schnulzen.
Diese Musik spielt auch die eigentliche Hauptrolle in der nun in Hamburg laufenden Musicalfassung, in der – und das ist ein Novum für das Genre – die Darsteller einigermaßen eindrucksvoll tanzen und nicht ganz so atemberaubend zu schauspielern haben – gesungene Dialoge gibt es keine. Für „Dirty Dancing“ in die Nacht entlassen wurde der„Tanz der Vampire“ – die Besucherzahlen des Musicals von Regisseur Roman Polanski befand man für nicht ausreichend. Nun also sind es die Geister von Patrick Swayze und Jennifer Grey – den Hauptakteuren des Films von 1987 –, die bei Hamburgs Tourismuszuständigen die Hoffnung auf noch mehr Übernachtungsgäste nähren.ALEXANDER DIEHL