: Der Geist von Hongkong hält Einzug
■ Die florierenden Joint-ventures machen die Provinz Guangdong zum wirtschaftlichen Vorreiter Chinas
Guangzhou (ips) — Unter Kennern gilt Guangzhou, die Hauptstadt der chinesischen Provinz Guangdong, als Inbegriff für die beste Küche im Reich der Mitte. Die jüngere Generation verbindet mit der Stadt jedoch ganz andere Vorstellungen. Für sie ist es die Metropole der Motorräder. Normalerweise herrscht in Chinas Städten ein Wirrwarr an Fahrrädern aller Art. In Guangzhou, das nicht weit von Hongkong entfernt liegt, werden sie zunehmend von blitzenden Maschinen verdrängt. Der Geist der britischen Enklave hält immer mehr Einzug in der benachbarten Provinz, seit die Pekinger Führung der Wirtschaftszone eine Sonderrolle einräumte.
Geschwindigkeit, Glanz und ein Stück Freiheit sind es, die die Chinesen mit den heulenden Vehikeln verbinden. Doch der „Große Sprung nach vorn“ ist vor allem Zeichen einer auf Hochtouren laufenden Wirtschaft — nicht nur in Guangzhou, sondern in der ganzen Provinz Guangdong. Die Region um das fruchtbare Delta des Perlflusses spielt derzeit eine wirtschaftliche Vorreiterrolle für ganz China. Aus den armen Fischerdörfern der späten siebziger Jahre haben sich quirlige Zentren von Industrie und Handel mit einer stark exportorientierten Wirtschaft entwickelt.
Eines der führenden Unternehmen der Provinz ist die Firma China Bicycles Company (CBC), die schon in ihrem Logo den herrschenden Zeitgeist darstellt: ein dynamischer junger Held, der aus den Wellen heraussteigt und ein Fahrrad hoch über seinen Kopf hält. China Bicycles hat ihren Sitz in Shenzhen, Chinas größter Sonderwirtschaftszone. Als Joint-venture mit Partnern aus Hongkong und dem US-Unternehmen Shwinn Co. führt CBC die Liste der erfolgreichsten Wirtschaftsprojekte mit ausländischer Beteiligung an.
China ist seit langem der weltweit größte Hersteller von Fahrrädern, hatte aber bislang keinen Zugang zum Weltmarkt. „Deshalb entschlossen wir uns, mit anderen Firmen zu kooperieren, um die besten chinesischen Fahrräder zu bauen und zu exportieren“, erklärt CBC-Vizedirektor Chen Pingan. 95 Prozent der gesamten Produktion werden unter den Markennamen „Diamond Back“ und „Chimo“ nach Nordamerika und Europa exportiert. Den Verkauf und Vertrieb erledigt eine Firma in Hongkong. Um die Bedürfnisse der Konsumenten zu befriedigen, sind die 1,5 Millionen Fahrräder, die CBC im Jahr produziert, in 100 Ausführungen und 2.000 Farben zu haben, berichtet Chen. Für China, in dem die überwältigende Mehrheit mit schwarzen Rädern eines Typs fuhr, eine geradezu atemberaubende Neuerung.
Der wirtschaftliche Erfolg läßt sich auf eine Vermischung alter und neuer Elemente zurückführen. Das neue Denken zeigt sich nicht nur an der Orientierung am Markt und den Konsumbedürfnissen, sondern auch in anderen Praktiken, die in industrialisierten Ländern längst zum Standard gehören. Große Aufmerksamkeit schenken die chinesischen Fahrradbauer der Qualitätskontrolle; die technische Weiterbildung der Beschäftigten bezahlt die Firma. Die teilweise Standardisierung der Fahrradteile und Arbeitsabläufe brachte für die Arbeiter auch einen besseren Überblick über den Produktionsprozeß mit sich. Das vor zwei Jahren gestartete Experiment mit der Organisierung der Arbeiter in Arbeitsgruppen wurde als voller Erfolg gewertet — nicht nur von den Funktionären, sondern auch von den Beschäftigten. Wie viele andere exportorientierte Firmen im technischen Bereich setzt CBC ausländische Fachkräfte für Ausbildungsprogramme ein und schickt seine eigenen Techniker und Vertriebsleute zur Fortbildung ins Ausland. Neue Produktionstechnologien hat CBC ebenso importiert wie eine Anzahl von qualitativ hochwertigen Fertigteilen.
Im Gegensatz dazu treibt ein noch altbackener Arbeitsgeist die pharmazeutische Fabrik Bai Yun Shan in Guangzhou an. Die vier Punkte der Arbeitsmoral von Bai Yun Shan prangen auf einer roten Fahne über dem Fabrikeingang: „Liebe die Fabrik, fördere die gemeinsamen Interessen, achte auf den Fortschritt, und suche die Wahrheit.“
Gegründet von Intellektuellen, die während der Kulturrevolution aufs Land verschickt wurden, mußte die Pharmafabrik Mitte der siebziger Jahre auf Grund technischer Rückständigkeit und eines schlechten Managements beinahe die Tore schließen. Ein Wechsel der Geschäftsführung und die überfällige Modernisierung machten die Firma jedoch zu einem der führenden Pharmaproduzenten Chinas, sowohl auf dem Gebiet moderner westlicher Medizin als auch traditioneller chinesischer Naturheilkunde.
In Zhuhai, an der Mündung des Perlflusses, befindet sich ein Unternehmen, das einen weiteren Baustein der wirtschaftlichen Erfolge in Guangdong vorführt: eine gute Ausbildung. Die Asia Simulation and Control System Engineering Company (ASC) entwickelt als einzige Firma in Südostasien Simulationsmodelle für Kraftwerkssteuerzentralen, die zur Schulung des späteren Bedienungspersonals eingesetzt werden. ASC legt größten Wert auf eine fundierte Ausbildung seines Personals und rekrutiert die besten Ingenieure aus ganz China. Auch mit den Löhnen für die Leistungsträger wird nicht gespart: Die ASC-Ingenieure verdienen ein Vielfaches ihrer Kollegen im Rest des Landes.
Die Guangzhou-Peugeot-Autowerke sehen sich einer anderen technologischen Herausforderung gegenübergestellt: Sie wollen ein auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiges Automobil produzieren. In China gibt es — abgesehen vom LKW- und Schwermaschinenbau so gut wie keine Atomobilindustrie. „Qualitätsbauteile von lokalen Zulieferern zu erhalten, ist ein großes Problem; die Ausbildung der Beschäftigten, vom einfachen Arbeiter bis zu den Führungskräften, ebenso“, beschreibt der Generaldirektor des französisch-chinesischen Joint-ventures, Claude Cusey, die Schwierigkeiten, mit denen die Firma zu kämpfen hat.
Doch auch ohne den brennenden Wunsch Chinas, zu einem namhaften Herstellerland in der Autobranche aufzusteigen, fährt das Projekt zur Freude der Pekinger Funktionäre Erfolge ein: Guangzhou-Peugeot konnte im letzten Jahr seine Produktion auf 14.000 Fahrzeuge verdoppeln und erzielte einen Gewinn von 37 Millionen US-Dollar. Zum Jahresende rangierte die Firma damit an neunter Stelle in der Hitliste sämtlicher Unternehmen mit ausländischer Beteiligung in China.
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