: Der Fussel Mensch
■ „Schlechte Laune“: Comic von Kreitz
Wenn Ralf seine Freunde nicht mehr aushalten kann, muß er an die S-Bahn, sich freipusten lassen. Er klammert sich außen an den Türgriffen der über die Schienen rasenden S-Bahn fest. Für ein paar Augenblicke ist dann alles weggeblasen – der Mief, der Alltag, die Großstadt...
Doch es gibt eine Grundregel des S-Bahn-Surfens: Niemals allein! Wie soll man auch sonst hineinkommen, bevor der stählerne Wurm mit 90 Stundenkilometern ins Erdreich eintaucht und den lästigen Fussel Mensch mit einem saftigen „Klatsch“ am Tunnelgewölbe abstreift?
1993 taucht Isabel Kreitz überraschend in der Comic-Szene auf: In Schräge Schwestern, der Anthologie deutschsprachiger Comic-Zeichnerinnen von Elefanten Press, ist sie als –67er Jahrgang mit Abstand die Jüngste. Rasch gewinnt sie den Comopoly Förderpreis 1993 und die „Achterbahn Freikarte“, was ihr die Möglichkeit gibt, beim Achterbahn Verlag ihr erstes Buch Heiß und Fettig unterzubringen. Essen spielt in ihren Comics immer eine Rolle.
In ihrem neuesten Werk Schlechte Laune! schlingen die Menschen Fast-Food und Ravioli aus der Dose, Bier und Kaffee, Bonbons. Zeige mir was Du ißt, und ich sage Dir wie Du bist! Überall klebt es von Essensresten, Fett und Zucker. Die Menschen sind quallig und schnaufen. Oder hager, schieben sich hastig im Stehen 'ne Pizza 'rein. Kreitz hat einen guten Blick für das Widerliche im Alltag.
Mit ihrer scharfkantigen, leicht häßlich wirkenden und doch realistischen Schwarzweißgrafik läßt sie den Betrachter am Widerlichen teilnehmen, ohne viel Worte darüber zu verlieren. Man ahnt, warum es jemanden an die S-Bahn treiben kann.
Nach seiner letzten Fahrt findet sich Ralf in der Obhut einer kleinen Gruppe von S-Bahn-Surfern in den Tunnelgewölben wieder, die alle den „Großen Klatsch“ überlebt haben. Hier kippt die Geschichte ins Absurde, was Kreitzens gnadenlosen Alltagsbeobachtungen ein wenig Kraft nimmt. Dafür gewinnt sie andere, polemischere Möglichkeiten. Sie steigert den Fast-Food zum Fast-Life. Einer der Tunnelbewohner trägt statt eines Gesichts eine Tüte von McDonalds. Ansonsten strahlen uns aus den entstellten Fratzen makellose Zähne entgegen. Diese Unlogik macht Sinn: Gefressen wird bis zuletzt.
Elmar Klages
Schlechte Laune!, Zwerchfell-Verlag, 8 Mark.
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