: Der Fußball ist eine Scheibe
■ Warum in der Welt der Kicker kein Platz für Schwule ist ("Schwule in der Bundesliga", taz vom 25.10.90
Warum in der Welt der Kicker kein Platz für Schwule ist („Schwule in der Bundesliga“,
taz vom 25.10.90)
[...] Die unbestreitbare erotische Dimension, die die Liebkosungen zwischen schwitzenden Jungs ebenso haben wie das Aufgehen des einzelnen Fans in der jubelnden Masse, ist in der Fußballwelt völlig unthematisiert. Da nimmt es nicht Wunder, daß die schwulen Spieler, von deren Existenz man(n) plötzlich zu ahnen beginnt, am Selbstverständnis der Kickerelite rühren.
Für Paul Steiner gibt es keine schwulen Fußballer, denn Schwule können nicht Fußball spielen, jedenfalls nicht hart genug. Für dieses Diktum gebührt dem Kölner Libero gleich zweifach der Platzverweis: Nicht nur offenbart seine Äußerung eine allzu schlichte Denkungsart (die allerdings erklärt, warum Steiner stets den eisenharten Ausputzer, nicht aber einen kreativen, spielenden Libero abgibt), sondern er strapaziert zugleich dasselbe „Argument“, das das (männliche) Publikum auch gegen Frauenfußball ins Feld führt: die vermeintliche körperliche Unterlegenheit. Schwule sind, dies unsere Einsicht dank Steiners Belehrung, zimperliche Softies.
In sibyllinischer Triefgründigkeit räsonniert der Frankfurter Mittelfeldstar Uwe Bein über das heikle Thema: Möglich sei alles. Eine solche Äußerung, die in ihrer lakonischen Universalität eines Sepp Herberger würdig gewesen wäre, besagt im Grunde jedoch nur: Die Möglichkeit der Existenz schwuler Fußballer ist unabweisbar, sollte aber besser nicht empirisch bestätigt werden.
Soziales Problembewußtsein offenbart der Düsseldorfer Torsteher Jörg Schmadtke, der uns wissen läßt, daß das Inkognito der schwulen Kicker ihr Schutz vor dem Hohn und Haß ist, der den afrikanischen Profis der Bundesliga entgegenschlägt, wenn sie der gegnerischen Fankurve zu nahe kommen. Das Bekenntnis zum Schwulsein wäre wohl das Ende jeder Profikarriere in deutschen Stadien: Nicht nur würde das Aufwärmen vor den Rängen zum Spießrutenlauf, sondern der Bewußtseinsstand unserer Profis läßt befürchten, schwule Teamkameraden würden vom gemeinsamen Torjubel ausgeschlossen — aus Angst vor Aids.
Tatsächlich würden bekennende schwule Fußballer die Kreativität der Fans auf eine harte Probe stellen: Denn wie kann man einen allzu ballverliebten Dribbler oder einen Torjäger, der unter Ladehemmung leidet, noch mit der Titulierung „Schwuchtel“ treffen, wenn man weiß, daß er eine ist?
In den nämlichen Ruf geraten besonders leicht die Halbgötter in Schwarz, die Schiedsrichter. [...] Erst jüngst wurde der französische Unparteiische Vantrot vom Präsidenten eines spanischen Erstligaclubs solcherart beleidigt. Daß die Bemerkung überhaupt als Beleidigung gewertet wurde, sagt einiges über das Menschenbild des Präsidenten und der UEFA aus. [...]
Die Diskriminierung der Schwulen im Fußball ist jedoch nur die eine Seite des Problems. Die andere, weniger menschen- aber ebenso lebensfeindliche, ist die völlige Tabuisierung der doch unübersehbaren erotischen Momente des Ballspiels: Was kann erotischer sein als Roger Millas Lambadaeinlagen an der Eckfahne nach erfolgreichem Torschuß? Was kann erregender sein als der Jubel einer sich auf dem Rasen wälzenden Spielertraube? [...]
Und wer wollte bestreiten, daß Spieler mit homoerotischer Ausstrahlung wie der knuffige Engländer Paul Gascoigne, das blondmähnige argentinische Engelsgesicht Claudio Caniggia oder meinetwegen der handliche Münchner Olaf Thon feuchte Träume auszulösen imstande sind?
Nicht die schwulen Aspekte des Fußballspiels sind in Wahrheit Anlaß zur Sorge. Müssen wir uns nicht vielmehr fragen, warum unsere Profis sich ungesund früh verheiraten, nur weil die Trainer der Meinung sind, Ehefrauen „stabilisierten“ ihre teuren Stars? Und wie kommt es, daß eine Spielerfrau wie die andere, bar jeder Persönlichkeit daherkommt: backhendlbraun, blondgelockt und mit schwarzer Sonnenbrille maskiert? Fast sind wir versucht zu unterstellen, diese Damen hielten Anja Meulenbelt für den Konkurrenzclub von Ajax Amsterdam und die Rote Zora für das Maskottchen von Spartak Moskau, so unberührt von aller emanzipatorischen und feministischen Aufklärung erscheinen sie.
Aus alldem läßt sich wohl nur eines folgern: Für den Fußball gelten die Gesetze des gesellschaftlichen Fortschritts nicht. Frauen bleiben hier dumm und dekorativ; Männer sind nur Männer, wenn sie die Blutgrätsche wagen und keine Männer lieben. Die Männlichkeit des Fußballsports steht und fällt mit der Heterosexualität der Aktiven. Unsere schwulen Fußballträume werden also auch weiterhin ganz im Verborgenen blühen müssen.
Denn neben seiner hierarchisch- autoritären Struktur hat der Deutsche Fußballbund nicht zuletzt auch die Ewigkeit seines Weltbildes und seiner Dogmen mit der katholischen Kirche gemein: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und darum merke: 1.Schwule Profikicker gibt es nicht. 2.Der Fußball ist eine Scheibe. Wolfgang Reichardt
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