neue filme: Der Fluss
Taiwan 1997, Regie: Tsai Ming-Liang; mit Miao Tian, Li Kangsheng; 115 Min.
„Der Fluss“ ist bisher der formal puristischste Film des neuen ostasiatischen Autorenkinos. Am Beispiel einer Familie misst der taiwanesische Regisseur Tsai Ming-Liang den Stand der Isolation, der Entfremdung und Kommunikationsstörung. Die Themen dabei mit einer formalen Strenge komponiert, wie man sie bis dato nicht einmal bei seinem koreanischen Kollegen Kim Ki-Duk („The Isle“) gesehen hat. Mit „Der Fluss“ scheint Tsai Ming-Liang das Kino in einen Rohzustand zurückgeführt zu haben, narrativ wie visuell weit selbst über die prinzipiellen Techniken des Stummfilms hinausweisend. Die Dysfunktionalität der sozialen Praktiken hat er in eine in sich kohärente Filmsprache übertragen. Die langen Wege seiner Figuren, die an sich schon kein Ziel anzuvisieren scheinen, führen bei ihm immer wieder ins Nichts, werden unterbrochen und aufgelöst von harten Schnitten, die keine räumlich und zeitlich logischen Anschlüsse finden. Auf Aktionen in diesem sozialen Raum folgt nur selten eine Reaktion, und wenn, bleibt sie meist Ausdruck einer tief verankerten Unsicherheit. Mehr als alle Filme des ostasiatischen Autorenkinos, die in den letzten Jahren den Weg in die europäischen Kinos gefunden haben („Der Fluss“ kommt spät, bereits 1997 hat er auf der Berlinale den Silbernen Bären gewonnen), kultiviert „Der Fluss“ eine Form von Sprach- und Ereignislosigkeit, die sich jedem Ästhetizismus rigoros verweigert. Ming-Liangs naturalistisch karge Bilder verweigern jede Anteilnahme und verstoßen den Zuschauer auf einen weit ausgelagerten Voyeursposten, von dem aus es unmöglich wird, sich dem Anblick des Elends zu entziehen. Dieses Spannungsverhältnis verschafft Ming-Liangs Bildern etwas kontrolliert Gewalttätiges, weil sie permanent in private Sphären vorstoßen und dort in mitunter quälend langen Einblicken ohne Fluchtmöglichkeit verweilen.
Central, fsk
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