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■ VorschlagDer Film „La naissance de l'amour“ von Philippe Garell im FSK

Der raspelig wirkende Kinnbart von Jean-Pierre Léaud paßt genauso ins schlunzige, ausrangiert wirkende Dekor von „La naissance de l'amour“ wie der Fahrzeugpark aus R4 und Citroän „Ente“. Die Liebe, von der hier gesprochen wird, ist bestenfalls hypnotischer Natur. Treffen in Cafés und Begegnungen an Kais führen vielleicht zu einer gemeinsamen Nacht, aber zu keinen Gemeinsamkeiten. Der Alltag der jenseits der Midlife-Grenze durchs Leben schlendernden Freunde Paul (Lou Castel) und Marcus (Jean-Pierre Léaud) gehört kläglichen und im Scheitern begriffenen Beziehungen. Paul wartet in Bars auf Zufallsbekanntschaften oder übernachtet bei Freunden mit seiner derzeitigen Flamme. Marcus läuft seiner Freundin nach und gewinnt dabei wenig mehr als eine mitleidig gewährte „letzte Nacht“.

All das geschieht in einer Unaufgeregtheit und Wortlosigkeit, als sei den Figuren des Regisseurs Philippe Garell der Unterschied zwischen Gelassenheit und Apathie abhanden gekommen. Wenige Anhaltspunkte lassen Rückschlüsse auf die Handlungszeit zu. Mal ist vom Golfkrieg die Rede, mal bewegen sich die Personen in einem zeitlichen Irgendwo, das sowohl die frühen Achtziger als auch die Polit-Boheme der sechziger Jahre zu meinen scheint.

Zur kunstvoll trübsinnigen Filmmusik von John Cale dominiert der Film mit Großaufnahmen: Ulrika (Johanna Ter Steege) Wange an Wange mit Pauls schütterem Haupthaar oder, in Untersicht gefilmt, beider Gesichter beim Sex. Philippe Garell, der für „La naissance de l'amour“ nur mit Originalton und ohne spätere Post-Produktion-Methoden arbeitete, gibt sich auch bei der Realisation seines Films auf Schwarzweißmaterial puristisch. Sein Film sei eine Art Reportage zur „Geschichte des modernen Paares“, vergleichbar mit Woody Allens „Husbands and Wives“. „Für mich sind Männer Typen, die dir Worte an den Kopf werfen, schwere Worte, Liebesworte“, sagt Ulrika in einem der raren Dialoge des Films. Tatsächlich macht sich „La naissance de l'amour“ zur Aufgabe, scheintote Paare in häuslicher Entfremdung, hilflose Charaktere, die sich im Gebüsch verkriechen und Exliebhaberinnen in schlampiger Unterwäsche und in unfreundlicher Beleuchtung zu demaskieren. Gudrun Holz

„La naissance de l'amour“, Regie: Philippe Garell, Kamera: Raoul Coutard. Frankreich 1993, vom 5. bis 18.12. im fsk am Oranienplatz

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