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Der Faustkämpfer und der Primus

■ Synchrontennis von Boris Becker und Michael Stich beim Hamburger Turnier

Hamburg (taz) — Manchmal ist das Leben wie die Schule: Streber und Klassenbeste werden respektiert, aber nicht geliebt. Diese Erfahrung muß Michael Stich bei seinen Auftritten in deutschen Tennisarenen machen — so auch bei den German Open am Hamburger Rothenbaum.

Gerade hier, unweit seiner Heimatstadt Elmshorn, hatte sich Michael Stich mehr Zuneigung der Tennisanhänger versprochen. Er, der eigentlich der Liebling des gemeinen deutschen Sportfans sein müßte. Hat er nicht seine Karriere nach Vernunftsmaßstäben geplant, erst Abitur gemacht, Kriegsdienst abgeleistet, um dann mit dem Ruf der Solidität in die große weite Welt des Tennissports einzuziehen — eben ganz und gar als pragmatisch denkender Holsteiner. Doch sein Achtelfinalspiel gegen den Österreicher Horst Skoff mochten sich gerade einmal 400 Zuschauer auf einem Nebenplatz ansehen. Zur gleichen Zeit spielte Boris Becker vor 10.000 Zuschauern auf dem Centre Court gegen den Spanier Renzo Furlan.

Schon bei seinem ersten Auftritt in diesem Jahr in Hamburg konnte der Elmshorner das Publikum nicht mitreißen. Brillantes Tennis spielte er schon gegen Carl-Uwe Steeb — aber es fehlte der Hauch von Glamour, die Ausstrahlung eines Stars wie John McEnroe oder Boris Becker, um das Publikum mitzureißen. Ganz wie ein talentierter und fleißiger Klassenbester ohne Fehler vernaschte er die Milchschnitte. Auch in seinem Achtelfinalmatch gegen Skoff ging er souverän mit 6:3 in Führung, ehe der zweite Satz beim Stande von 2:4 wegen Nieselregen abgebrochen wurde. Die Fortsetzung gewann er dann gestern vormittag mit 7:5.

Ganz anders der Hamburger Auftritt von Boris Becker in diesem Jahr. Im Stile einer zickigen Diva ließ der Leimener die Turnierleitung bis zur letzten Minute im unklaren, ob er denn nun kommt oder nicht. Das Turnier in Madrid in der Woche zuvor sagte er ob seines gestreßten Rückens ab. Er kam dann doch zusammen mit Barbara Feltus, der dunkelhäutigen Frau an Bobbeles Seite, die den Hobbyphilosophen immerhin dazu brachte, über Rassismus in Deutschland zu sinnieren.

Sein erstes Match gewann er, der mit ascheplatzrotem Bart nach Hamburg gereist ist, souverän gegen den Franzosen Thierry Champion. Mehr Kalamitäten bereitete ihm sein Achtelfinalspiel gegen den Argentinier Renzo Furlan. Es war nicht nur der ständige Nieselregen, der den Spielbeginn um vier Stunden verzögerte und ihn sichtbar nervte. Auch die Players-Night schien ihm noch in den Knochen zu stecken. Einem renitenten Klatschjournalisten wollte er, der Tennisweltstar, bei dem Versuch seine Freundin in einer verfänglichen Situation zu photographieren, gar im Faustkampf besiegen. Doch ein umsichtiger Kneipenwirt kam dieser Exkursion in andere Leibesübungen dazwischen, so daß BB am nächsten Tag wie gewohnt seiner Arbeit nachkommen konnte.

Die 10.000 Zuschauer, die trotz des Hamburger Schmuddelwetters auf dem Centre Court verharrten, vertrieben sich die Zeit zunftuntypisch für Anhänger des weißen Sports, nahezu volkstümlich, mit der aus Fußballstadien bekannten „Ola“. Auch im ersten Satz dieses Spiels verloren die Hamburger Tennishools immer mehr die gewohnte Contenance. Eine vermeintliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters zugunsten Furlans ließ „Schieber, Schieber“-Rufe über den Centre Court hallen. Es nutzte nichts, BB verlor den ersten Satz mit 4:6. Und obwohl er am nächsten Tag den zwieten Durchgang mit 6:4 gewann (der dritte Satz war bei Redaktionsschluß noch nicht beendet) zeigte er sich weiter so, wie es Fans von einem Star erwarten: mit boristypischem Selbstgezetere und deftigen Flüchen. Eben ganz anders als ein Klassenbester. Kai Rehländer

Rom, Achtelfinale: Monica Seles (Jugoslawien) - Carrie Cunningham (USA) 6:0, 6:1; Amanda Coetzer (Südafrika) - Jennifer Capriati (USA) 6:1, 3:6, 6:4; Mary Joe Fernandez (USA) - Ines Gorrochategui (Argentinien) 3:6, 6:3, 6:2; Anke Huber (Heidelberg) - Radka Zrubakova (CSFR) 6:1, 4:6, 6:1; Nathalie Tauziat (Frankreich) - Rachel McQuillan (Australien) 6:2, 6:0

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