: Der Fan als Ozeanologe
Weil „My Bloody Valentine“ partout nichts Neues bringen wollen, nimmt sich Guitar ihrer verwaisten Sounds an. Mit „Ms John Soda“ präsentiert er in der Tanzhalle die frei ausgelegte Gitarrenverliebtheit des Morr Music Labels
von CHRISTOPH BRAUN
Loveless ist eines dieser Alben. Seit 1991, als My Bloody Valentine die Platte rausbrachten, taucht sie ständig wieder auf in der Geschichtsschreibung von Pop. Das Album zählt zur Top 25-Liste psychedelischer Musik des altehrwürdigen NME, thront als Ideal aller Shoegazer-Bands von Ride bis Boo Radleys. Das Besondere an Loveless ist das ozeanische Prinzip: Gitarrenschichten bilden eine Masse, die nur in ihrer Bewegung beobachtbar ist und oben Schaumkronen bildet.
Zu den wohl Millionen Fans weltweit zählt auch der Digital Jockey. In der Vergangenheit besonders als Laptop-Reiter beim Duo Computerjockeys bekannt geworden (ja, die mit dem Mini-Hit „Ping Pong“), betreibt der Neu-Berliner unter dem Namen Guitar jetzt Ozeanologie und erweist dem My Bloody Valentine-Album seine Ehre. Anlass ist die Enttäuschung darüber, dass My Bloody Valentine einfach nichts Neues rausbringen wollen.
Für seinen Mut wird Guitar belohnt: Momente laden sich mit Euphorie auf, werden sie mit Hilfe von Gitarrenwänden, Rückwärtsloops und treibenden Schlagzeug-Breaks zerdehnt. Mit Regina Janssen von Donna Regina und der Tokyoter Sängerin Ayako Akashiba hat Guitar auch die passenden Stimmen dabei: Ein Jubelfest der direkten Sinneswahrnehmung, Songtitel wie „House Full Of Time“ oder „See Sea, Bee And Me“.
Das Neu-Entwerfen des My Bloody Valentine-Sounds geschieht im Sounddesign: DieAusgangssongs fließen wild, aber zäh; Guitar entzerrt das Undurchdringliche und setzt Luftschichten dazwischen. Und was echt ist, existiert irgendwann auch virtuell: Guitar heißt zwar Guitar, hat aber alles am Rechner zusammenproduziert. Damit versinnbildlicht das Projekt auch das derzeitige Vorgehen des Labels Morr Music. Seit zwei, drei Jahren der internationale Exportartikel der Berliner Kuschelelektronik, tauchen in den Veröffentlichungen der Firma tatsächlich immer mehr Gitarren auf.
Mit Guitar sind Ms John Soda auf Tour: Eine „richtige“ Band mit „echten“ Gitarren aus der richtigen Indieband-Hochburg Weilheim (bzw. München). Blue Skied And Clear, die aktuelle Morr Music-Compilation, huldigt übrigens auch einer Shoegazer-Band, allerdings Slowdive. Allerdings auch nur, wie Thomas Morr kürzlich irgendwo sagte, weil My Bloody Valentine gar zu nahe liegend gewesen wären.
mit „Static“: Sonnabend, 22 Uhr, Tanzhalle
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